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Lyra: Roman

Lyra: Roman

Titel: Lyra: Roman
Autoren: Christoph Marzi
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entschwanden, weiß und nebelverhangen, unwirklich erleuchtet in der Nacht; die Ankunft in Paris, wo er sich in den nächsten beiden Jahren als einer der Straßenmusikanten in Montmartre und am Boulevard Saint Michel durchgeschlagen hatte.
    Er war mit seiner Gitarre durch die Nachtclubs getingelt und hatte von der Hand in den Mund gelebt. Er hatte für Theatergruppen gespielt und auf Hochzeiten, in der Metro, wo ihn regelmäßig die Polizisten filzten, in den Straßen, wo an guten Tagen viele Münzen im Gitarrenkasten landeten.
    Manchmal hatte er Freundinnen gehabt, aber niemals hatte er sie wirklich geliebt. Sie hatten nur die Leere ausgefüllt, die in ihm war, und das war für den Augenblick gut gewesen. Es war ihm nie schwergefallen, jemanden kennenzulernen; die Frauen in den Clubs kamen mit der Musik. Aber sie suchten den Rock 'n' Roll, keinen romantischen Schotten, der die Heimat verlassen hatte, um sein Glück irgendwo in der Welt zu suchen.
    Es war wie in den Zeilen des Songs gewesen, den er in Frankreich geschrieben hatte.
    I saw no pretty picture
    That made my heart tick ticks.
    Am Ende hatte er sich auch in Paris leer gefühlt. So leer wie in Ravenscraig.
    Vielleicht hatte er auch einfach nur gespürt, dass er dort, wo er hinwollte, noch nicht angekommen war. Wer konnte das schon sagen? Er hatte Kerouac gelesen, Salinger und Burroughs. Er wusste also, dass schon andere vor ihm so empfunden hatten.
    Also war er eines Tages in einen Zug nach Prag gestiegen, wo er die letzte Bastion der von ihm verklärten Boheme vermutete.
    Sein Leben ging weiter, wie es in Paris geendet hatte, es tröpfelte dahin.
    Danny hauste wieder in billigen Absteigen, einen ganzen Sommer lang unter Brücken und in einem verlassenen Güterwaggon auf einem Abstellgleis in der Nähe des Hauptbahnhofs. Manchmal übernachtete er in den rauchigen Kneipen, die ihn zuvor hatten spielen lassen, denn niemals verdiente er genug, um sich etwas Besseres leisten zu können. Immer reichte es nur, um von der Hand in den Mund zu leben.
    Ein alter Straßenmusikant gab ihm schließlich einen Tipp, den er beherzigte. Lubos hatte einen Bart, der ihm bis zum Bauch reichte, trug eine Melone und einen alten Anzug und spielte Folk und Modern Jazz und alles andere auch. Er war hässlich wie die Nacht, und seine Stimme war auch nicht besonders gut, aber er arbeitete mit einer ehemaligen Prostituierten zusammen, die scharf aussah und für ihn das Geld einsammelte.
    Danny war überrascht, wie einfach die Sache im Grunde genommen doch war.
    Er lernte ein Mädchen kennen - Katinka die er anheuerte, damit sie ihn bei den Auftritten begleitete. Tink, wie er sie nannte, studierte mittelalterliche Geschichte an der Hochschule in Prag, in ihrer Freizeit führte sie Touristen durch die Stadt. Auch sie litt unter Geldnot, wie viele Künstler und Studenten in der Stadt. Fortan zogen sie gemeinsam durch die Kneipen. Danny spielte Songs von Seeger, Dylan und Springsteen und einige eigene Sachen, und Tink ging in ihren hautengen Jeans und einer prächtig weit ausgeschnittenen weißen Bluse und mit einer schwarzen Melone auf dem Kopf durch die Reihen und sammelte das Geld ein. Die Einnahmen teilten sie, und das, was für jeden dabei herauskam, war mehr, als Danny und Tink allein verdient hatten.
    Hin und wieder telefonierte Danny mit seinem Bruder. Colin studierte damals Ökonomie in Cambridge, was irgendwie zu ihm passte. Er stürzte sich in die Welt der Modelle und Berechnungen, als hinge sein Leben davon ab, all die abstrakten Dinge zu begreifen. Colin war immerzu beschäftigt, hatte nie richtig Zeit. Danny wusste, dass er ihm nur halbherzig zuhörte, wenn er ihm von den tschechischen Weibern und der Musik und den Clubs und all dem, was damit zusammenhing, erzählte, aber er tat es trotzdem, weil es etwas war, was die beiden Brüder noch verband. Colin war acht Jahre älter als er und vernünftig, zielstrebig, ruhig. Das genaue Gegenteil von dem, was Danny so darstellte.
    Am Ende war das Leben in Prag jedenfalls nicht so viel anders als das Leben in Paris.
    Vielleicht wäre Danny noch einige Zeit dortgeblieben, aber dann starb sein Vater. Widerwillig kehrte er nach Portpatrick zurück, wenn auch nur für ein paar Tage.
    Nach der Beerdigung brachte ihn ein Flieger von Prestwick aus nach Luton, zwei Tage später ging es von Heathrow über Bangor nach New York.
    Ja, daran erinnerte er sich noch.
    An die Skyline von New York, die alles darstellte, was Amerika immer für ihn
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