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Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse

Titel: Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
Autoren: Jack Vance
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Wald, und es stimmt, daß sie Kinder rauben und sie auf einem Spieß rösten. Also lauf beim Beerensuchen niemals zu weit in den Wald, sonst bist du verloren.«
    »Ich werde bestimmt ganz vorsichtig sein. Und jetzt erzähl mir ...«
    »Es ist Zeit für deinen Brei. Und wer weiß, vielleicht ist heute ein schöner roter Apfel für dich in meinem Korb ...«
    Suldrun nahm das Mittagsmahl in ihrem kleinen Gemach oder, wenn das Wetter schön war, in der Orangerie ein. Dabei knabberte und schlürfte sie mit leckerhaft gespitztem Mündchen geziert von dem Löffel, den Ehirme ihr zum Mund führte. Später hielt sie den Löffel selbst und führte ihn mit vorsichtigen Bewegungen und besonnener Konzentration, als wäre es das Wichtigste auf der Welt, niedlich und wohlerzogen zu essen, ohne sich zu bekleckern.
    Ehirme fand diese Gewohnheit absurd und reizend zugleich, und manchmal machte sie sich einen Spaß daraus, sich von hinten an Suldrun heranzuschleichen und sie mit einem laut ins Ohr gerufenen »Buuh!« zu erschrecken, wenn sie gerade den Mund zu einem Bissen öffnete. Suldrun spielte dann die Beleidigte und tadelte Ehirme: »Das ist ein unartiger Streich!« Dann fuhr sie fort zu essen, wobei sie Ehirme nicht mehr aus dem Auge ließ.
    Außerhalb von Suldruns Gemächern bewegte sich Ehirme so zurückhaltend und unauffällig als möglich, doch allmählich wurde ruchbar, daß Ehirme, das Bauernmädel, sich in eine Stellung gemogelt hatte, die Höhergestellten vorbehalten war. Die Angelegenheit wurde Dame Boudetta gemeldet, der obersten Leiterin des Haushalts, eine strenge und unnachgiebige Dame, die in den niederen Adel hineingeboren war. Ihre Pflichten waren mannigfach: Sie beaufsichtigte die Zofen und Mägde, wachte über ihre Tugend, entschied in Fragen der Schicklichkeit. Sie kannte die besonderen Gebräuche des Palastes. Sie war ein wandelndes Kompendium in Ahnen- und Stammbaum-fragen und ein unerschöpflicher Quell von Klatsch.
    Bianca, eine Oberkammerzofe, erhob als erste Beschwerde über Ehirme. »Sie ist eine Außenstehende, die nicht einmal im Palast wohnt. Sie riecht nach Schweinestall, und jetzt tut sie vornehm und wirft sich in die Brust, nur weil sie das Schlafgemach der kleinen Suldrun ausfegt.«
    »Ja, ja«, sagte Dame Boudetta, wobei sie durch ihre lange, vorspringende Nase sprach. »Ich weiß das alles.«
    »Noch etwas!« Bianca legte jetzt geschickt etwas mehr Nachdruck in ihre Stimme. »Wie wir alle wissen, sagt Prinzessin Suldrun wenig, vielleicht, weil sie ein wenig zurückgeblieben ist ...«
    »Bianca! Mäßige dich!«
    »... aber wenn sie spricht, dann mit einem gräßlichen Akzent! Stellt Euch nur vor, wenn König Casmir sich entschließt, mit der Prinzessin Konversation zu treiben, und die Sprache eines Stallburschen hört!«
    »Deine Anteilnahme ist gewiß lobenswert«, erwiderte Dame Boudetta hochnäsig. »Aber auch ich habe mir bereits Gedanken über die Sache gemacht.«
    »Bedenkt, ich bin wohl geeignet für das Amt einer Leibzofe, und meine Aussprache ist hervorragend, und ich bin gründlich bewandert in allen Fragen des Benehmens und der Kleidung.«
    »Ich werde das im Gedächtnis behalten.«
    Schließlich ernannte Dame Boudetta eine Frau von mittlerem Stand für den Posten: ihre Base Dame Maugelin, der sie eine Gefälligkeit schuldete. Ehirme wurde sogleich entlassen und trottete mit hängendem Kopf nach Hause.
    Suldrun war zu dieser Zeit vier Jahre alt und für ihr Alter normal gelehrig, sanft und freundlich, wenn auch ein wenig abwesend und ernst bisweilen. Als sie von der Ablösung erfuhr, stand sie starr vor Entsetzen da. Ehirme war der einzige Mensch auf der Welt, den sie liebte.
    Suldrun machte kein Geschrei. Sie stieg hinauf in ihr Gemach, stellte sich vors Fenster und blickte zehn Minuten lang hinunter auf die Stadt. Dann wickelte sie ihre Puppe in ein Schnupftuch, zog ihren Kapuzenumhang aus weicher grauer Schafswolle an und verließ still den Palast.
    Sie rannte die Arkade hinauf, die den Ostflügel Haidions flankierte und schlüpfte durch einen dumpfigen, zwanzig Fuß langen Durchschlupf unter Zoltras Mauer hindurch. Sie lief quer über den Urquial, ohne den grimmigen Peinhador und den Galgen auf dem Dach, von dem zwei Leichen baumelten, zu beachten.
    Sobald sie den Urquial hinter sich gelassen hatte, verfiel sie in Trab, bis sie ermüdet war, und ging dann in normalem Schritt weiter. Suldrun kannte den Weg gut: die Straße entlang bis zum ersten Seitenpfad, dann nach links bis zur
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