Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lycana

Lycana

Titel: Lycana
Autoren: Ulrike Schweikert
Vom Netzwerk:
Abstand gefolgt waren, schlossen zu ihr auf und ließen sich neben ihr nieder. Ihr Blick wanderte zu den Spitzen der Twelve Bens oder Beanna Beola hinauf, wie die Kelten die Berge genannt hatten, die zwischen den dahinjagenden Wolken immer wieder kurz zu sehen waren. Und für einen Augenblick glaubte sie auch, die Spalte im Fels erahnen zu können, die das Ziel ihrer Reise war. Dann hatte der graue Nebel sie wieder verschlungen. Die alte Frau setzte ihren Weg fort.
    Noch ehe die Wollgraswiesen und braunen Matten in Felsgestein übergingen, trat plötzlich ein Mann aus dem Schatten eines der Megalithgräber, deren mächtige Pfeiler und Steinplatten hier im einsamen Westen der Insel noch an vielen Stellen aufragten. Er ging auf sie zu und neigte den Kopf.
    »Druidin Tamara Clíodhna, sei gegrüßt.« Kein Lächeln erhellte die hageren Gesichtszüge. Er nickte auch den beiden Wölfen zu. »Deartháir beag, deirfiúr beag« - kleiner Bruder, kleine Schwester.
    Die Druidin erwiderte seine Begrüßung. »Cén chaoi a bhfuil tú, Mac Gaoth?«
    Wieder neigte er den Kopf und antwortete mit der Gegenfrage: »Cén chaoi a bhfuil tú féin, Tamara Clíodhna?« - und wie geht es dir -, ohne dass seine Miene freundlicher wurde.
    »Tá mé go maith, go raibh maith agat.« Die Druidin versicherte - wie es sich gehörte -, dass es ihr gut gehe. Damit war der Höflichkeit Genüge getan. Mac Gaoth drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort den Berghang hinauf. Den Blick auf seinen sehnigen Rücken gerichtet, folgte ihm die alte Frau. Er ging schnell und sah sich nicht einmal nach ihr um, doch sie hielt mit ihm Schritt und zeigte keine Anzeichen von Erschöpfung.
    Mac Gaoth - Sohn des Windes - nannten sie ihn. Er war einer der Jüngeren der Sippe, die sich im Gebiet der Twelve Bens aufhielt, und er gehörte zu den Wilden, die die Jahre noch nicht gezähmt hatten.
    Bald erreichten sie die Felsen, und Mac Gaoth bog in einen  kaum erkennbaren Pfad ein, bis die Spalte sich plötzlich vor ihnen öffnete.
    »Wen bringst du?«, fragte eine Stimme aus der Finsternis.
    Wortlos trat der junge Mann beiseite und ließ die Druidin und ihre beiden Wölfe eintreten. Es war so dunkel, dass ihre Augen kaum die Umrisse des Mannes ausmachen konnten, der ebenso groß gewachsen und hager wie Mac Gaoth schien. Aber sie erkannte seine Stimme.
    »Áthair Faolchu, Vater der Wölfe, ich habe gehofft, dass ich dich hier antreffe!«
    »Tamara Clíodhna, was für eine Überraschung«, sagte die alterslose Stimme in der Dunkelheit. Wie Mac Gaoth war Áthair Faolchu einer der wenigen, der sie mit ihrem vollen Namen ansprach, von allen anderen wurde sie nur Tara genannt.
    »Ah bhfuil aon scéal agat?«
    Tara nickte. »Ja, ich habe etwas zu erzählen!«
    »Nun, dann komm herein. Unser kleiner Bruder und die kleine Schwester mögen dir folgen.«
    Die Druidin legte ihre Hände auf die Köpfe der beiden grauen Wölfe, die neben sie getreten waren, und ließ sich von ihnen durch den finsteren Gang führen, bis er sich nach einigen Biegungen zu einer domartigen Höhle erweiterte. Kleine Öllampen brannten in Haltern an Säulen und Vorsprüngen und ließen Schatten über die schroffen Granitwände tanzen. Tara betrachtete den Mann, der vor ihr stehen geblieben war und sich nun zu ihr umwandte. Er hatte sich nicht verändert, seit sie ihn vor vielen Dutzend Jahren kennengelernt hatte. Die pergamentartige Haut umspannte die Knochen so eng, dass sein Antlitz wie ein Totenschädel wirkte. Verstärkt wurde der Eindruck durch die tief liegenden Augen, die im Schein der kleinen Flammen rötlich schimmerten. Die Kleider, die seinen mageren Körper verhüllten, waren aus Leder. Der Pelz eines großen grauen Wolfes hing über seine Schultern herab. Der Schädel lag wie eine Kapuze über seinem Kopf. Tara hatte den Wolf gekannt. Er war in hohem Alter von einer Gruppe von  Schaffarmern getötet worden. Áthair Faolchu selbst hatte seine sterbliche Hülle heimgeholt und trug sie nun wie das Vermächtnis eines Ahnen.
    Der Werwolf führte sie an einer kleinen Gruppe Männer und Frauen vorbei, die sie neugierig musterten. Sie erkannte Mahon, Bidelia und Cairbre, drei alte Werwölfe, die, schon seit sie denken konnte, in Áthair Faolchus Gefolge waren, und den jungen Ivarr, der sich mit einigen anderen gern um den rebellischen Mac Gaoth scharte.
    Áthair Faolchu führte die Druidin in eine kleinere Höhle, die mit Decken und Fellen ausgelegt war. »Setz dich. Ich kann dir leider nichts
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher