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Lycana

Lycana

Titel: Lycana
Autoren: Ulrike Schweikert
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komm«, sagte er schließlich. »Und nimm dir eine der Lampen mit. Wir haben kein Licht für Besucher dort drinnen!«
    Die Druidin hob eine der Öllampen aus ihrer Halterung und folgte dem Werwolf in die Tiefe des Berges. Sie sprachen kein Wort. Es war lange her, dass Tara im Herz des Berges gewesen  war. Sie stiegen sich eng windende Treppen hinunter, bückten sich unter Steinblöcken hindurch, folgten verzweigten Gängen und querten gewaltige Hallen. Vermutlich hätte Tara den Weg allein nicht wiedergefunden. Doch die Werwölfe hätten - trotz des Paktes - sowieso niemandem gestattet, hier ohne ihre Begleitung hinunterzusteigen. Nicht einmal der Druidin Tara, die sie respektierten und achteten, jedoch nicht verehrten, und deren magischer Stimme sie nicht gehorchen mussten.
    Tara merkte, wie sich die steinernen Wände veränderten. Der graue Granit verschwand und wurde von weißem und grün gesprenkeltem Marmor ersetzt, durch den sich dunkel und kupferfarben schimmernde Erzbänder zogen. Sie näherten sich ihrem Ziel.
    Endlich langten sie in der kleinen, fast kreisrunden Höhle an, die den wertvollen Stein beherbergte. Tara näherte sich bis auf drei Schritte dem altarähnlichen Podest, auf dem er auf einem schwarzsamtenen Kissen ruhte. Áthair Faolchu trat neben sie.
    »Cloch adhair, die Kraft unseres Landes.«
    Die Druidin nickte. Schweigend betrachteten sie den Stein aus dem grünen Marmor von Connemara, den viele auch nur anam  nannten - die Seele. Der Stein war etwa zwei Fuß lang und in seinen Umrissen wie Irland geformt.
    »Grün wie das saftige Gras der Insel, das die Grundlage allen Lebens ist, weiß wie das Licht der Seelen, die auf ihr leben, in die Anderwelt aufsteigen und wiedergeboren werden, und schwarz wie die Schatten des Krieges, die die Fremden seit Jahrhunderten über uns bringen«, sagte der Werwolf. »Spürst du seine Kraft?«
    »Ja, seine Kraft ist ungebrochen, doch die seiner Kinder lässt nach. Ich fürchte, sie waren zu lange und zu weit fort von Irland. Der Schutz geht schon bald verloren. Sie müssen herkommen, noch ehe der Tag des Wechsels anbricht.«
    Áthair Faolchu schwieg eine Weile, ehe er fragte: »Wozu diese Eile? Sind unser Land und die Familien nicht Schutz genug?«
    »Nein!«, widersprach die Druidin barsch. »Ich kann die Finsternis am Horizont sehen, die ihre Finger bis nach Irland streckt. Selbst hier droht ihnen bald Gefahr!«
    »Dann müssen wir eben aufpassen«, erwiderte der Werwolf, ohne den Blick seiner rötlichen Augen von dem Stein zu wenden.
    »Wir werden den Bund erneuern und die erschöpften Kräfte an der Quelle ihrer Macht stärken!«, sagte Tara bestimmt.
    Nun sah sie der Werwolf an. Seine Augen wurden schmal. »Du willst sie hierherbringen?«
    »Ja, ich habe das Recht dazu, und das weißt du«, sagte die Druidin leise.
    »Es ist nicht nötig, mich an den Pakt zu erinnern, aber die Stimmen, die sich gegen ihn erheben, werden lauter.«
    »Solange du deine Sippe führst, werde ich darauf vertrauen, dass die Werwölfe zu ihrem Wort stehen!«
    Er schwieg, doch sie spürte seine Ablehnung, als er sie zurück in die Höhle führte, wo die anderen Mitglieder der Sippe bereits ungeduldig auf den Abend warteten. Heute war Vollmond. Eine Nacht, in der sie ihre Körper im silbernen Licht baden und ihre Kräfte stärken würden.
    Die Druidin verabschiedete sich. Sie wusste, dass die Werwölfe bei dem bevorstehenden Ritual unter sich sein wollten. Es banden sie nicht nur gute Gefühle an die Sippe der Werwölfe, und das war ihnen bekannt. Alte Verletzungen, Wut, Trauer und auch Hass drohten in solchen Nächten aufzubrechen. Es war ein langer Weg gewesen, gegenseitige Achtung und Vertrauen aufzubauen. Wie leicht konnte das in nur wenigen Augenblicken zerstört werden. Tara trat aus der Spalte und machte sich an den Abstieg. Sie spürte, dass die Werwölfe sie beobachteten, aber sie sah nicht zurück. Die Sonne war schon fast hinter den Gipfeln verschwunden, während im Osten ein bleicher Mond am Himmel hing. Der Sturm hatte die Wolken verblasen. Die letzten grauen Fetzen jagten über den Himmel, so als versuchten sie, ihre Brüder und Schwestern einzuholen.
    Die Druidin hielt am Dolmen an, an dem sie auf Mac Gaoth getroffen war, und ließ sich auf seiner schon etwas schiefen Platte im Schneidersitz nieder. Den Stab quer über die Knie gelegt, die Handflächen gen Himmel geöffnet, saß sie da, während die Sonne erlosch und das Licht des Mondes an Kraft gewann. Die Druidin
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