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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua
Autoren: dtv
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dann seufzte er. Tief und schwer.
    »Ach, mein Junge, mein Junge«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Du bist schrecklich einfallslos. Ein jedes Problem kommt
     bei dir aus demselben Fass. Ein jedes deiner Probleme ist, um es vornehm auszudrücken,
feminini generis.«
     
    Die Erde erzitterte von Hufschlägen. Die Schar fegte im Galopp über das Feld, wie ein Kaleidoskop glitten Köpfe und Körper
     im Vorbeisprengen dahin, schwarze, braune, graue, grau- und apfelschimmelweiße und kastanienbraune. Die Schweife und die langen
     Mähnen wehten, Dampf quoll aus den Nüstern. Dzierżka de Wirsing stützte sich mit beiden Händen auf den Sattelknopf, sie blickte
     umher, und in ihren Augen erstrahlten Freude und Glück, man hätte meinen können, nicht eine Pferdehändlerin betrachte ihre
     Fohlen und Stuten, sondern eine Mutter ihre Kinder.
    »Es sieht so aus, Reynevan«, sie wandte sich endlich zu ihm um und kehrte wieder zum Thema zurück, »als kämen alle deine Sorgen
     aus ein und demselben Fass. Jedes deiner Probleme, so sieht’s nun mal aus, trägt einen Rock und einen Zopf.«
    Sie trieb ihren Grauschimmel zum Galopp an und folgte der Schar. Reynevan jagte hinterdrein. Sein Pferd, ein wohlproportionierter
     dunkler Hengst, war ein »Trippler«; Reynevan hatte sich noch nicht an den eigenartigen Rhythmus seiner Bewegungen gewöhnt.
     Dzierżka gestattete ihm, zu ihr aufzuschließen.
    »Ich kann dir nicht helfen«, sagte sie mit Nachdruck. »Das Einzige, was ich für dich tun kann, ist, dir den Junghengst zu
     schenken, auf dem du sitzt. Und dir meinen Segen zu geben. Und ein Medaillon mit dem heiligen Eligius am Zaumzeug, dem Patron
     der Pferde und Pferdehändler. Das ist ein gutes Reitpferd. Kräftig und ausdauernd. Das kannst du gut gebrauchen. Nimm es als
     Geschenk von mir an. Als ein großes Dankeschön für Elencia. Für das, was du für sie getan hast.«
    »Ich habe nur meine Schuld beglichen. Für das, was sie für mich getan hat. Aber für das Pferd danke ich dir.«
    »Außer mit dem Pferd kann ich dir nur mit einem guten Rat dienen. Geh zurück nach Breslau, such dort den Kanonikus Otto Beess
     auf. Oder hast du ihn schon besucht? Als du mit Elencia in Breslau warst?«
    »Der Kanonikus ist beim Bischof in Ungnade. Meinetwegen, wie es scheint. Vielleicht nimmt er mir dies übel, freut sich am
     Ende gar nicht, wenn ich ihm einen Besuch abstatte. Der ihm womöglich schaden kann
. . .
«
    »Du hast vielleicht Sorgen!« Dzierżka richtete sich im Sattel auf. »Bei deinen Besuchen gibt es immer Probleme. Hast du etwa
     nicht daran gedacht, als du zu mir nach Schalkau gekommen bist?«
    »Doch, ich habe daran gedacht. Aber es ging um Elencia. Ich hatte Angst, sie allein gehen zu lassen. Ich wollte sie sicher
     hierherbringen
. . .
«
    »Ich weiß. Ich nehm’s dir nicht übel, dass du mitgekommen bist. Aber helfen kann ich dir nicht. Weil ich Angst habe.«
    Sie schob ihre Zobelkappe in den Nacken und wischte sich mit der Hand über das Gesicht.
    »Sie haben mir einen Schrecken eingejagt«, sagte sie und blickte zur Seite. »Einen verdammten Schrecken. Damals, am fünfundzwanzigsten
     September, bei Frankenstein, am Erbsberg. Weißt du noch, was dort war? Da hab’ ich eine solche Scheißangst gekriegt
. . .
Schade um jedes Wort. Reynevan, ich will nicht sterben. Ich will nicht so enden wie Neumarkt, Throst und Pfefferkorn, wie
     später Ratgeb, Czajka und Poschmann. Wie Kluger, der in seinem Haus zusammen mit seiner Frau und den Kindern verbrannt ist.
     Ich habe den Handel mit den Böhmen aufgegeben. Ich spreche nicht über Politik. Ich habe an den Dom zu Breslau eine große Spende
     gegeben. Und eine weitere, nicht geringere, für den Kreuzzug des Bischofs gegen die Hussiten. Wenn es sein muss, gebe ich
     noch mehr. Das ist mir lieber, als nachts Feuer auf meinem Strohdach zu sehen. Und die schwarzen Reiter im Hof. Ich will leben.
     Besonders jetzt, wo
. . .
«
    Sie brach ab und schlang, während sie nachdachte, die Zügel um ihre Hände.
    »Elencia
. . .
«, fuhr sie fort, den Blick abgewandt, »wenn sie will, kann sie weiterziehen. Ich werde sie nicht aufhalten. Aber sollte sie
     den Wunsch hegen, hier auf Schalkau zu bleiben
. . .
Zu bleiben für
. . .
Für lange
. . .
Dann werde ich nichts dagegen haben.«
    »Behalt sie hier bei dir. Lass nicht zu, dass sie sich wieder irgendwohin als Freiwillige meldet. Dieses Mädchen hat ein Herz
     und folgt einer Berufung, aber die Spitäler
. . .
Die Spitäler
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