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Luegenherz

Luegenherz

Titel: Luegenherz
Autoren: Beatrix Gurian
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lebt zwei Leben!«
    Ich merke, dass meine Stimme sehr viel lauter geworden ist, und ich versuche, mich wieder etwas zu beruhigen. Mein Herz schlägt hart gegen den Brustkorb und ich zwinge mich mit aller Macht, die aufsteigende Wut zu unterdrücken.
    »Er hat Mama und mich komplett verarscht. Deshalb hat er auch so wenig Geld gehabt und Mama immer angepumpt. Deshalb hat er auch das viele Geld von Jury genommen und den Wetterbericht ignoriert. Unglaublich, wie gut das geklappt hat. So viele Jahre lang hat er es geschafft, sein anderes Leben vor uns zu verstecken. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Immer wieder war ich kurz davor, es Mama zu verraten, vor allem wenn sie mir mit ihren Sprüchen über ihren viel beschäftigten Lebensgefährten kam. Aber es ging ihr schlecht, sie hatte Depressionen. Wenn du mich fragst, hängt das alles irgendwie zusammen. Oder was meinst du, Ally?«
    Nichts, es ist gerade so, als wäre hinter der Tür das Ende des Universums.
    »Zu der Zeit habe ich auch angefangen, mich zu ritzen. Ich weiß noch, das erste Mal hab ich es getan, nachdem ich ihn auf dem Spielplatz an der Münchner Freiheit mit seinem Söhnchen beobachtet habe. Er hat ihn in die Luft geworfen, mit ihm Fangen gespielt und ihn andauernd geknuddelt und in den Arm genommen. Irgendwann kam seine Frau und die wurde dann auch abgeküsst. Von wegen er wollte keine Kinder und nicht heiraten, alles Lüge. Nachdem ich wusste, dass er noch eine Familie hatte, konnte ich nie mehr Vater oder Papa zu ihm sagen. Für mich war er nur noch der Landgraf. Landgraf, der dreckige Lügner.« Meine Stimme klingt bitter, aber sie verhallt in der Stille.
    »Ally? Bitte, Ally, ich will damit nicht sagen, dass das, was ich getan habe, gerechtfertigt war. Wirklich nicht. Jedenfalls …« Tränen steigen mir in die Augen und ich muss tief durchatmen, um weiterreden zu können.
    »Dann kam Carolina. Sie musste in eine Gruppe von Landgraf, weil man bei ihr eine antisoziale Persönlichkeitsstörung diagnostiziert hatte. Sie war wahnsinnig schön und unheimlich cool. Als ich sie kennengelernt habe, durfte sie schon in eigener Regie Gruppen in der Angerlochhöhle führen. Wir mochten uns sofort. Und als sie meine Narben gesehen hat, hat sie mir geholfen. Sie wurde meine Freundin und ich habe ihr vertraut, wie noch niemals jemandem zuvor. Aber wie ich heute weiß, war auch sie nicht aufrichtig zu mir. Es ist, als ob Landgraf alle Menschen in seiner Nähe mit seinem Lügenherz infiziert.«
    Ich kann nicht weiterreden. Allein die Erinnerung an das, was dann passiert ist, schnürt mir die Kehle zu.
    »Jedenfalls habe ich ihr eines Tages von den zwei Familien erzählt, die mein Vater hat. Sie war total entsetzt und wollte mir nicht glauben, dachte, das wären Hirngespinste von mir. Schließlich habe ich ihr die andere Familie gezeigt. Und nachdem sie das Haus mit dem Klingelschild und ihn mit Frau und Kind gesehen hat, war sie vollkommen verändert. Wie betäubt. Ich habe mich gefreut, weil ich dachte, endlich versteht jemand, wie mir zumute ist.« Ein heiseres Lachen entfährt meiner Kehle. »Aber der wahre Grund war, dass sie eine Affäre mit Landgraf hatte. Und dann hat sie sich umgebracht, weil sie dieses Arschloch so geliebt hat.«
    Heiße Tränen laufen mir über die Wangen. Es ist, als wäre ein Damm in mir gebrochen und alles wird an die Oberfläche gespült. Mit erstickter Stimme sage ich: »Verstehst du, Ally, sie wollte lieber sterben, als ohne ihn zu leben. Und ich war ihr Henker.«

43. Ally
    Ihr Henker, so ein Unsinn!
    Ich bin aus einem Impuls heraus an die Tür gegangen und hätte sie beinahe aufgemacht, aber dann hatte ich mich wieder unter Kontrolle. Und jetzt rede ich durch die Tür, die Worte kommen, ohne dass ich es will. Dabei wünschte ich, sie würde einfach weggehen und für immer aus meinem Leben verschwinden.
    »Und was hat das alles mit mir zu tun?«, kommt es widerwillig aus meinem Mund. »Oder mit Jury?«
    »Ich bin durchgedreht und habe jemanden für meine Rachepläne gesucht. Landgraf hat zu Hause oft von dir gesprochen. Er hat erzählt, wie begabt du wärst und dass du einen anderen Blick auf die Dinge hättest als deine Klassenkameraden. Und nachdem ich deine Homepage gefunden hatte, dachte ich, du wärst eine gute Wahl. Dein Schmuck sah für mich so aus, als ob du an Grenzen gehen würdest. Und als ich entdeckt habe, dass du alleine wohnst und keinen Freund hast, war ich sicher, dass ich dich für meine Pläne würde
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