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Luegen auf Albanisch

Luegen auf Albanisch

Titel: Luegen auf Albanisch
Autoren: Francine Prosse
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geantwortet.
    Vielleicht hatte das dazu beigetragen, ihr die Stelle zu geben. Mister Stanley bekam einen Babysitter und seine eigene private Künstlerkolonie für denselben Preis. Der Lorenzo de Medici von Baywater, New Jersey.
    Mister Stanley ging ganz in seiner Arbeit auf. Die meisten Samstage schlief er durch, während Zeke bei seinen Freunden war, Mädchen und Jungen, alle mit schwarz gefärbten Haaren und einem halben Klempnerladen im Gesicht. Weder Mister Stanley noch Zeke hielten viel vom Familienleben, doch Lula erachtete es als freundliche Geste, ihnen ein Sonntagsfrühstück anzubieten. Vielen Dank, hatte Mister Stanley gesagt, aber kein Speck, und nur das Weiße von den Eiern. Cheerios oder Haferflocken. Sein Cholesterinspiegel sei zu hoch.
    Bei diesen Sonntagsfrühstücken sprach niemand. Zeke saß nicht mal auf einem Esszimmerstuhl, sondern zog sich einen Sessel an den Tisch, um eindösen zu können oder zumindest so zu tun. Eiweißomeletts mit dem schweigenden Mister Stanley und seinem dösenden Sohn zu essen, war eine unbehagliche Angelegenheit. Beinahe so, als gäbe es zwei Zekes: den umgänglichen Jungen, der er bei Lula war, und den wütenden Troll, zu dem er in Gegenwart seines Vaters wurde. Lula ermahnte Zeke, netter zu seinem Vater zu sein, und Zeke stimmte zu, aber er konnte es nicht. Das hätte gegen all seine Grundsätze verstoßen.
    Manchmal wurde Mister Stanley ärgerlich auf seinen Sohn. Aber seine Ungeduld oder Enttäuschung oder Kränkung (das war schwer zu benennen) äußerte sich als Traurigkeit statt als Wut. Nach albanischem Maßstab und selbst nach amerikanischem, wie Lula vermutete, besaß Mister Stanley nur eine schmale emotionale Bandbreite. Nichts in Lulas Vergangenheit hatte sie auf jemanden vorbereitet, der so lauwarm war wie eine Nuckelflasche. Vor allem, wenn sie betrunken waren, hatten ihr Vater und ihr Onkel sinnloses Brüllen nicht nur für ein Vorrecht, sondern für den Beweis von Männlichkeit gehalten. Und weil sie so viel brüllten, achtete niemand darauf, daher lief es bei ihnen aufs selbe hinaus wie bei Mister Stanleys Gemütsruhe.
    Bei ihr zu Hause endeten Familienfeste immer im Streit, aber bei Mister Stanley fand kein einziges Mal auch nur so etwas wie ein Familientreffen statt. Gab es denn keine verwitwete Tante oder Großmutter im albanischen Stil, die zu Vater und Sohn ziehen und ihnen den Haushalt hätte führen können? Mister Stanley hatte keine Eltern mehr und auch keine Geschwister, und bei den seltenen Gelegenheiten, wenn Gingers Eltern aus Indiana anriefen, um mit ihrem Enkel zu sprechen, ließ Zeke sich von Lula verleugnen.
    Am Sonntagnachmittag unternahm der Vater mit dem Sohn Vater-und-Sohn-Dinge – Baseball, Tennis, in den Park gehen –, offensichtlich angeregt von ihrem Bedürfnis, der verschwundenen Mutter etwas zu beweisen: Seht, wie gut wir ohne dich zurecht kommen! Mister Stanley hatte ein jungenhaftes Vergnügen daran, Sportausrüstungen zu kaufen, und er war am fröhlichsten (nicht übertrieben), wenn er mit Zeke losging, um einen neuen Schläger oder Fanghandschuh auszuprobieren. Bei der Rückkehr hatte sich Zeke jedes Mal eine kleine Verletzung zugezogen, die einen Verband oder einen Eisbeutel erforderte, womit Mister Stanley ihn anscheinend gerne versorgte. Der glücklichste Augenblick der Woche kam am Sonntagabend, wenn Lula, Zeke und Mister Stanley Tony Soprano und seiner noch verkorksteren Familie dabei zuschauten, wie sie mit ihren riesigen Schlitten durch Gegenden kutschierten, die schmeichelhaft nahe an Baywater lagen.
    Mister Stanley hatte seine Sonntagsunternehmungen mit Zeke bei Lulas Vorstellungsgespräch erwähnt. Da er Lula ja nicht adoptieren wolle, dürfe sie nicht erwarten, dazu eingeladen zu werden. Ist schon in Ordnung, hatte Lula gesagt. Dann hatte sie erwähnt, dass sie nicht fahren konnte. Mister Stanley hatte gesagt, das sei schon in Ordnung, aber sie könnte sich in den Vororten eingesperrt fühlen, und sie hatte gesagt, Nein, das sei in Ordnung, sie sei eine große Leseratte, so habe sie auch Englisch gelernt, und Mister Stanley sagte, das sei hervorragend. Zeke habe es nicht so mit dem Lesen, vielleicht würde es abfärben. Die hübsche kleine Stadtbücherei sei zu Fuß gut zu erreichen. Lula befürchtete, man würde von ihr erwarten, Bücher rumliegen zu haben. Als Mister Stanley sie nicht fragte, was sie denn gerne las, war sie beruhigt.
    Lula hatte Mister Stanley mitgeteilt, sie wünsche sich etwas Solides. Tja,
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