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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Wagen auf sie gewartet um der gefühlten Notwendigkeit willen, diesem Leidenszorn standzuhalten, seine Gerechtigkeit und Ehrwürdigkeit anzuerkennen und ihn vielleicht zu besänftigen durch die herzlichste Bitte um Vergebung?«
    »O Gott«, sagte sie erschrocken, »wozu lassen Excellenz sich herbei! Das hab' ich nicht hören wollen und werde so rot dabei wie bei der Geschichte, die Sie zur Himbeercrême erzählten. Vergebung! Mein Stolz, mein Glück, sie hätten zu vergeben? Wo ist der Mann, der meinem Freunde sich – vergleichen darf? Wie ihn die Welt verehrt, so wird die Nachwelt ihn verehrend nennen.«
    »Weder Demut hier noch Unschuld dort«, erwiderte er, »würden der Verweigerung des Erbetenen ihre Grausamkeit nehmen. Zu sagen: ich habe nichts zu vergeben, das heißt auch sich unversöhnlich zeigen gegen Einen, dessen Schicksal es vielleicht von jeher war, sich in unschuldiger Schuld zu winden. Wo das Bedürfnis nach Vergebung ist, soll auch Bescheidenheit sie nicht verweigern. Sie müßte denn die heimliche Seelenqual, das siedend heiße Gefühl nicht kennen, das den Menschen durchdringt, wenn ihn ein gerechter Vorwurf, mitten in dem Dünkel eines zutraulichen Selbstgefühls, plötzlich betrifft, sodaß er einem Haufen durchglühter Muscheln gleicht, wie sie wohl da und dort statt des Kalkes zum Bauen verwendet werden.«
    »Mein Freund«, sagte sie, »es wäre mir schrecklich, wenn der Gedanke an mich auch nur augenblicksweise dein zutrauliches Selbstgefühl sollte verstören können, von dem für die Welt soviel abhängt. Ich nehme aber auch an, daß diese gelegentliche Durchglühung in erster Linie der Ersten gilt, bei der die Ent {442} sagung gegründet ward und zur Wiederholung begann: der Tochter des Volks, der du im Abreiten die Hand reichtest vom Pferde herab; denn man liest ja beruhigender Weise, daß du dich von mir mit milderem Schuldgefühle getrennt, als von ihr. Die Arme unter ihrem Hügel im Badischen! Ich habe, offen gesagt, nicht viel Herz für sie, denn sie hat sich sehr gut nicht gehalten und sich der Verkümmerung überlassen, da es doch darauf ankommt, einen resoluten Selbstzweck aus sich zu machen, auch wenn man ein Mittel ist. Da liegt sie nun im Badischen, dieweil andere nach ergiebigem Leben sich eines würdigen Witwenstandes erfreuen, gegen dessen Wackerkeit so ein bischen apprehensives Kopfzittern garnichts besagt. Auch bin ich ja die Erfolgreiche – als deutliche und unverkennbare Heldin deines unsterblichen Büchleins, unbezweifelbar und unbestreitbar bis ins Einzelne trotz dem kleinen Durcheinander mit den schwarzen Augen, und selbst der Chinese, so fremdartige Gesinnungen er sonst auch hegen möge, malt mich mit zitternder Hand auf Glas an Werthers Seite – mich und keine andere. Darauf poche ich und laß mich's nicht anfechten, daß die unterm Hügel vielleicht mit im Spiele war, daß bei ihr die Gründung liegt, und daß sie dir möglicherweise das Herz erst erschlossen hat für Werthers Liebe, – denn das weiß niemand, und es sind meine Züge und Umstände, die den Leuten vor Augen stehen. Meine Angst ist nur, daß es einmal herauskommen und das Volk es eines Tages entdecken möchte, daß sie wohl gar die Eigentliche ist, die zu dir gehört in den Gefilden, wie Laura zum Petrarc, sodaß es mich stürzte und absetzte und mein Bild aus der Nische risse im Dome der Menschheit. Das ist's, was mich manchmal zu Tränen beunruhigt.«
    »Eifersucht?« fragte er lächelnd. »Ist Laura denn allein der Name, der von allen zarten Lippen klingen soll? Eifersucht auf wen? Auf deine Schwester, nein, dein Spiegelbild und ander Du? Wenn Wolke sich gestaltend umgestaltet, ist's nicht die {443} selbe Wolke noch? Und Gottes Namenhundert, nennt es nicht den Einen nur – und euch, geliebte Kinder? Dies Leben ist nur Wandel der Gestalt, Einheit im Vielen, Dauer in dem Wandel. Und du und sie, ihr alle seid nur Eine in meiner Liebe – und in meiner Schuld. Tatest du deine Reise, um dich des getrösten zu lassen?«
    »Nein, Goethe«, sagte sie. »Ich kam, um mich nach dem Möglichen umzusehen, dessen Nachteile gegen das Wirkliche so sehr auf der Hand liegen, und das doch als ›Wenn nun aber‹ und ›Wie nun erst‹ immer neben ihm in der Welt bleibt und unserer Nachfrage wert ist. Findest du nicht, alter Freund, und fragst du nicht auch mitunter dem Möglichen nach in den Würden deiner Wirklichkeit? Sie ist das Werk der Entsagung, ich weiß es wohl, und also doch wohl der Verkümmerung,
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