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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Gegenwärtige als die Verjüngung des Vergangenen sich geistreich zu erkennen gibt, kann es nicht wundernehmen, daß im bedeutungsvollen Wallen der Erscheinungen auch das unverjüngte Vergangene mit zu Besuche kommt, verblaßte Anspielungen präsentierend und indem es seine Zeitgebundenheit durch das Wackeln seines Kopfes rührend bekundet.«
    »Es ist nicht schön von dir, Goethe, daß du diese Bekundung {439} so geradezu namhaft machst, wobei es wenig hilft, daß du sie rührend nennst, denn fürs Rührende bist du garnicht, sondern wo wir einfachen Menschen gerührt sein möchten, da stellst du die Sache kühl aufs Interessante. Ich habe recht wohl bemerkt, daß du dieser meiner kleinen Schwäche gewahr geworden bist, die über meine ganz wackere Gesamtverfassung garnichts besagt und viel weniger mit Zeitunterworfenheit zu tun hat, als mit meiner Verwobenheit in dein riesengroß gewordenes Leben, die ich nur apprehensiv und aufregend nennen kann. Was ich aber nicht wußte, ist, daß du auch die verblaßten Anspielungen meines Kleides bemerkt hast – nun ja, natürlich bemerkst du mehr, als deine abschweifenden Augen zu bemerken scheinen, und zuletzt solltest du's ja bemerken, dazu hatte ich mir den Scherz ja ausgedacht und dabei auf deinen Humor gerechnet, wiewohl ich nun einsehe, daß es nicht sonderlich humoristisch war. Um aber auf meine Zeitunterworfenheit zurückzukommen, so laß mich doch sagen, daß du wenig Grund hast, Excellenz, dich darüber aufzuhalten, denn aller poetischen Erneuerung und Verjüngung ungeachtet, ist dein Stehen und Treten ja von einer Steifigkeit geworden, daß Gott erbarm', und deine gravitätische Courtoisie scheint mir ebenso des Opodeldoks bedürftig.«
    »Ich habe Sie erzürnt, meine Gute«, sagte er in sanftem Baß, »mit meiner beiläufigen Erwähnung. Vergessen Sie aber nicht, daß ich sie im Zusammenhang that der Rechtfertigung Ihres Erscheinens und der Erläuterung, warum ich es gut und sinnvoll heißen mußte, daß auch Sie mit daherwallten im Geisterzuge.«
    »Merkwürdig«, schaltete sie ein. »August, der unausgesprochene Bräutigam, erzählte mir, du habest seine Mutter, die Mamsell, geduzt, sie aber hätte dich Sie genannt. Mir fällt auf, daß es bei uns hier umgekehrt zugeht.«
    »Das Du und Sie«, antwortete er, »war ja auch damals immer, {440} zu deiner Zeit, zwischen uns in der Schwebe, und im Übrigen liegt ihre augenblickliche Verteilung wohl in unseren beiderseitigen Verfassungen begründet.«
    »Gut und recht. Aber da sprichst du nun von meiner Zeit, statt ›unsere Zeit‹ zu sagen, da's doch die deine auch war. Aber es ist deine Zeit eben wieder, erneut und verjüngt, als geistreiche Gegenwart, da es die meine bloß einmal war. Und da soll's mich nicht tief verletzen, daß du so geradhin meiner nichts besagenden kleinen Schwäche gedenkst, die doch leider eben besagt, daß es meine Zeit nur gewesen.«
    »Meine Freundin«, erwiderte er, »kann denn wohl Ihre Zeitgestalt Sie mühen und irgend ein Hinweis darauf Sie verletzen, da Sie das Schicksal begünstigte vor Millionen und Ihnen ewige Jugend verlieh im Gedicht? Das, was vergänglich ist, bewahrt mein Lied.«
    »Das läßt sich hören«, sagte sie, »und ich will's dankbar anerkennen trotz aller Bürde und Aufregung, die für mich Arme damit verbunden. Ich will lieber auch gleich hinzufügen, was du wohl nur aus gravitätischer Courtoisie verschweigst, daß es albern war, meine Zeitgestalt mit den Emblemen der Vergangenheit zu behängen, die der beständigen Gestalt gehören in deinem Gedicht. Schließlich bist du ja auch nicht so abgeschmackt, im blauen Frack mit gelber Weste und Hose herumzugehen, wie damals viele verschwärmte Buben taten, sondern schwarz und seidenfein ist dein Frack nunmehr, und ich muß sagen, der Silberstern darauf steht dir so gut, wie Egmonten das Goldene Fließ. Ja, Egmont!« seufzte sie. »Egmont und die Tochter des Volks. Du hast recht wohl getan, Goethe, auch deine eigene Jugendgestalt beständig zu machen im Gedicht, daß du nun als steifbeinige Excellenz in allen Würden der Entsagung deinen Schranzen die Suppe gesegnen magst!«
    »Ich sehe wohl«, erwiderte er nach einer Pause tief und bewegt, »meine Freundin hegt einige Unwirschheit nicht nur {441} wegen meiner scheinbar unzarten und doch nur liebevoll gemeinten Erwähnung jenes Zeichens der Zeit. Ihr Zorn, oder ihr Leid, das als Zorn sich äußert, hat gerechteren, nur zu ehrwürdigen Ursprung, und habe ich nicht im
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