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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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denn Entsagung und Verkümmerung, die wohnen nahe beisammen, und all Wirklichkeit und Werk ist eben nur das verkümmerte Mögliche. Es ist etwas Fürchterliches um die Verkümmerung, das sag' ich dir, und wir Geringen müssen sie meiden und uns ihr entgegenstemmen aus allen Kräften, wenn auch der Kopf zittert vor Anstrengung, denn sonst ist bald nichts von uns übrig, als wie ein Hügel im Badischen. Bei dir, da war's etwas anderes, du hattest was zuzusetzen. Dein Wirkliches, das sieht nach was aus – nicht nach Verzicht und Untreue, sondern nach lauter Erfüllung und höchster Treue und hat eine Imposanz, daß niemand sich untersteht, dem Möglichen davor auch nur nachzufragen. Meinen Respekt!«
    »Deine Verwobenheit, liebes Kind, ermutigt dich zu einer drolligen Art der Anerkennung.«
    »Das will ich doch wenigstens davon haben, daß ich mitreden und ein wenig vertraulicher lobpreisen darf, als die unzugehörige Menge! Aber das muß ich auch sagen dürfen, Goethe: so sehr wohl und behaglich war mir's nicht eben in deiner Wirklichkeit, in deinem Kunsthaus und Lebenskreis, es war {444} eher eine Beklemmung und eine Apprehension damit, das laß mich gestehen, denn allzusehr riecht es nach Opfer in deiner Nähe – ich meine nicht: nach Weihrauch, das ließe ich mir gefallen, auch Iphigenie läßt ihn sich ja gefallen für die Diana der Skythen, aber gegen die Menschenopfer, da greift sie mildernd ein, und nach solchen sieht's leider aus in deinem Umkreis, es ist ja beinah wie ein Schlachtfeld und wie in eines bösen Kaisers Reich. Diese Riemer, die immer mucken und maulen, und deren Mannesehr auf dem süßen Leime zappelt, und dein armer Sohn mit seinen siebzehn Gläsern Champagner und dies Persönchen, das ihn denn also zu Neujahr heiraten wird und wird in deine Oberstuben fliegen wie die Mücke ins Licht, zu schweigen von den Marieen Beaumarchais, die sich nicht zu halten wußten wie ich, und die die Auszehrung unter den Hügel brachte, – was sind sie denn, als Opfer deiner Größe. Ach, es ist wundervoll ein Opfer bringen, jedoch ein bittres Los ein Opfer sein!«
    Unruhige Lichter huschten und hüpften über die Gestalt des Mantelträgers an ihrer Seite. Er sagte:
    »Liebe Seele, laß mich dir innig erwidern, zum Abschied und zur Versöhnung. Du handelst vom Opfer, aber damit ist's ein Geheimnis und eine große Einheit wie mit Welt, Leben, Person und Werk, und Wandlung ist alles. Den Göttern opferte man, und zuletzt war das Opfer der Gott. Du brauchtest ein Gleichnis, das mir lieb und verwandt ist vor allen, und von dem meine Seele besessen seit je: das von der Mücke und der tötlich lokkenden Flamme. Willst du denn, daß ich diese sei, worein sich der Falter begierig stürzt, bin ich im Wandel und Austausch der Dinge die brennende Kerze doch auch, die ihren Leib opfert, damit das Licht leuchte, bin ich auch wieder der trunkene Schmetterling, der der Flamme verfällt, – Gleichnis alles Opfers von Leben und Leib zu geistigster Wandlung. Alte Seele, liebe, kindliche, ich zuerst und zuletzt bin ein Opfer – und bin der, {445} der es bringt. Einst verbrannte ich dir und verbrenne dir allezeit zu Geist und Licht. Wisse, Metamorphose ist deines Freundes Liebstes und Innerstes, seine große Hoffnung und tiefste Begierde, – Spiel der Verwandlungen, wechselnd Gesicht, wo sich der Greis zum Jüngling, zum Jüngling der Knabe wandelt, Menschenantlitz schlechthin, in dem die Züge der Lebensalter changieren, Jugend aus Alter, Alter aus Jugend magisch hervortritt: darum war mir's lieb und verwandt, sei völlig beruhigt, daß du dir's ausgedacht und zu mir kamst, mit Jugendzeichen geschmückt die Altersgestalt. Einheit, Geliebte, das auseinander Hervortauchen, das Sich Vertauschen, Verwechseln der Dinge und wie Leben jetzt ein natürlich Gesicht, jetzt ein sittliches zeigt, wie sich Vergangenheit wandelt im Gegenwärtigen, dieses zurückweist auf jene und der Zukunft vorspielt, von der beide schon geisterhaft voll waren. Nachgefühl, Vorgefühl – Gefühl ist alles. Laß unsern Blick sich auftun und unsre Augen groß sein für die Einheit der Welt – groß, heiter und wissend. Verlangt dich nach Sühne? Laß, ich sehe sie mir entgegenreiten in grauem Kleide. Dann wird wieder die Stunde Werthers und Tassos schlagen, wie es mitternächtlich gleich schlägt dem Mittag, und daß ein Gott mir gab zu sagen, was ich leide, – nur dieses Erst und Letzte wird mir dann bleiben. Dann wird das Verlassen nur noch
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