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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Textgestalt bemerken, die in erheblichem Umfang ohne solche Stilisierung auskommt. Zwar kennt auch das Manuskript archaische Schreibungen (wie »Excellenz«, »Cylinder«, »Cohobierung«), doch die Erstausgabe übertrieb die – wiederum nicht konsequent realisierte – Tendenz, bei allen Fremdwörtern aus den klassischen Sprachen K und Z in C zu verwandeln. Wann, auf welchem Wege oder durch wessen Hand dieser Versuch einer Schreibsystematik in den Roman gelangt ist – diese Fragen sind bis heute ungeklärt.
    Leitend für die neue Textausgabe, auch für die Darstellung der Interpunktion, waren die konsequente Orientierung am Manuskript und der Verzicht auf jede Art von Mischtext. Die graphische Gestalt des Romans ist nicht dekorative Einklei {449} dung, sondern Bedeutungsträger. Sie wird buchstabengetreu wiedergegeben. »Hülflos« und »würken«, »ergetzen« und »gähren«, »giebt« und »unstät«, »Styl« und »Kniee« schaffen Atmosphäre, Beziehungsassoziationen und Klangkombinationen, die selbst beim stummen Lesen mitschwingen. Nicht einmal die in sonstigen Fällen nach Bedeutung oder Ausdruck funktionslosen Th oder Y (statt I), beziehungsweise die Umlautschreibungen Ae, Oe, Ue, ae, oe wurden getilgt. Die optische Wahrnehmung der historischen oder besser: historisierten Textgestalt gehört zur Botschaft des Textes, und die Grapheme spielen mit in einem auch visuell inszenierten Text. Jede Form von Modernisierung und Popularisierung würde nicht nur diese Aura verderben, sondern eines der wichtigsten Darstellungsziele Thomas Manns durchkreuzen: die Mimikry.
    Diese orthographische Spezialität des Goethe-Romans ist nun wiederum Teil der allgemeinen Zwitterhaftigkeit von Thomas Manns Schreibbild. Die Rechtschreibpraxis des 19. Jahrhunderts war für ihn prägend. Die Neuerungen schlichen sich nur langsam und über viele Jahre hinweg in sein Schriftbild ein, so dass »Thür« und »Thor«, »Kristall« und »Baryton«, »Kumulus« und »Zirrus« manchmal sogar im selben Satz friedlich nebeneinander stehen. Eine Vereinheitlichung hätte nicht nur das bunte Nebeneinander nivelliert und uniformiert, sondern auch übertüncht, was der Text durch sich demonstriert: Thomas Manns Schwellensituation zwischen Klassik und Moderne, seine janushafte Orientierung nach vorne und zurück.
    Nicht leicht zu entscheiden, was bei solch doppelt verzwickter Sachlage als historisch legitime Schreibung, was als orthographischer Fehler und damit als Korrigendum zu betrachten sei. Als Richtschnur diente die Regel: Solange eine Schreibform in den historischen Wörterbüchern seit Adelung (in der Auflage von 1811) belegt ist, wurde sie nicht angetastet. So hätte sie eben {450} jemand schreiben können, der den Schreibakt simulierend ins Jahr 1816 zurückverlegte, oder ein Autor aus den Jahren 1936 bis 1939, der seinerseits durch seine Sozialisation dem späten 19. Jahrhundert angehörte.
    Die Neckerei des Horaz, dass selbst der »gute Homer« über seinem Riesenwerk hin und wieder eingenickt sei, trifft auch Thomas Mann. Er war der Polyhistor nicht, als der er der Öffentlichkeit erschien. Und so war es nahezu unvermeidlich, dass gerade in einem Werk mit historischer Dimension einige solcher »Fleckchen« zu finden sind, die schon der augusteische Ironiker beim großen Kollegen entdeckt hat. Sie wurden nicht retuschiert, sofern sie nicht im Laufe der Textgeschichte nachweislich von Thomas Mann korrigiert wurden. Zum einen lässt sich durchaus nicht immer zweifelsfrei ausmachen, ob er tatsächlich »geschlafen« oder im Gegenteil, höchst munter, eine Umdeutung des historischen Materials beabsichtigte, die, obwohl sachlich falsch, dem Leser doch einen Spielraum für Assoziation und Interpretation eröffnet. Erweisen sich aber zum anderen die schwierigen Lesarten tatsächlich als Irrtümer, so gehören sie zu diesem historischen Dokument hinzu, wie es ist. Hier gilt das Wort des Autors, der während seiner Arbeit an Lotte in Weimar in einem Brief (an Kuno Fiedler, 21.12.1937) wissen lässt: »Ich gebe das Historische ziemlich leichten Herzens preis.«
    Werner Frizen

Daten zu Leben und Werk
6. Juni 1875
Paul Thomas Mann wird als zweites Kind von Thomas Johann Heinrich Mann und seiner Frau Julia, geb. da Silva-Bruhns, in Lübeck geboren. Geschwister: Luiz Heinrich (1871), Julia (1877), Carla (1881), Viktor (1890)

1889
Eintritt in das ›Katharineum‹

1893
Herausgabe der Schülerzeitschrift Der Frühlingssturm
Abgang vom Gymnasium
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