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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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einfinde, auch mich bisher nicht habe sehen lassen, ob ich gleich oft in Gedanken bei Ihnen gewesen. Herzlich das Beste wünschend – Goethe.«
    Die erbetene Verzeihung – dafür also, daß der Schreiber ihr {432} nicht selbst Gesellschaft leistete und auch bis dahin sich nicht hatte blicken lassen – wurde stillschweigend gewährt, denn Charlotte machte von der Theater-Einladung für ihre Person Gebrauch, – nur für diese; denn Lottchen, die Jüngere, hatte gegen Thaliens Gaben eine puritanische Abneigung, und Schwester Amalie war diesen Abend mit ihrem Manne anderweitig versagt. So trug die Goethe'sche Equipage, ein bequemer, mit blauem Tuch ausgeschlagener und mit zwei glatthäutigen Braunen bespannter Landauer, sie allein zum Comödienhaus, wo die hannöversche Hofrätin, viel lorgnettiert, viel beneidet, aber offenbar ohne sich durch die Neugier des Publikums in ihrer Aufmerksamkeit stören zu lassen, auf dem Ehrenplatz, den noch vor kurzem so oft eine Frau sehr anderer Erscheinung, Christiane, die Mamsell, eingenommen hatte, den Abend verbrachte. Sie verließ die Proszeniumsloge auch nicht während der großen Pause.
    Man gab Theodor Körners geschichtliches Trauerspiel »Rosamunde«. Es war eine gepflegte und schön gerundete Aufführung, und Charlotte, in einem weißen Kleide wie immer, das aber diesmal mit dunkel-violetten Schleifen garniert war, folgte ihr von Anfang bis zu Ende mit großem Genuß. Eine geläuterte Sprache, stolze Sentenzen, geübten Organen anvertraute Schreie der Leidenschaft schlugen, der Menschlichkeit schmeichelnd, begleitet von edel abgemessenen Gebärden, an ihr Ohr. Höhepunkte der Handlung, verklärte Sterbeszenen, bei denen der Scheidende, der Sprache bis zuletzt idealisch mächtig, in Reimen sprach, Auftritte von stachelnder Grausamkeit, wie die Tragödie sie liebt, und an deren tröstlichem Ende das böse Temperament selbst festzustellen hatte: »Die Hölle steht vernichtet«, waren mit kunstgerechter Überlegung angeordnet. Im Parterre wurde viel geweint, und auch Charlotten gingen ein paarmal die Augen über, obgleich sie sich bei der notorischen Jugendlichkeit des Dichters innere Ausstellungen er {433} laubte. So wollte ihr nicht gefallen, daß die Heldin, Rosamunde, sich in einem Gedicht, das sie als Soloszene rezitierte, wiederholt selbst mit »Rosa« anredete. Ferner verstand sie von Kindern zuviel, als daß ihr das Benehmen der in dem Stücke agierenden Theaterbälger nicht hätte anstößig sein müssen. Man hatte ihnen den Dolch auf die Brust gesetzt, um ihre Mutter zu zwingen, Gift zu trinken, und, als dies geschehen, sagten sie zu ihr: »Mutter, bist so blaß! Sei heiter! Wir möchten es auch gern sein!« Worauf sie noch auf den Sarg deuteten, angesichts dessen die Szene sich abspielte, und riefen: »Sieh nur an, wie dort die vielen Kerzen fröhlich schimmern!« Auch hierbei wurde im Parterre viel geschluchzt, aber Charlotten wollten dabei die Augen nicht übergehen. So dumm, dachte sie gekränkt, waren Kinder doch nicht und man mußte entschieden ein sehr junger Freiheitskämpfer sein, um sich Kinderunschuld so vorzustellen.
    Auch um die Sentenzen, für welche die Schauspieler ihre geschulten Stimmen und die Autorität ihrer beliebten Persönlichkeiten einsetzten, stand es, so schien ihr, nicht immer zum besten und zweifellosesten; auch sie zeugten, wie ihr vorkam, bei aller Wärme und Geschicklichkeit ihrer Präsentation von einem gewissen Mangel an tieferer Erfahrung und Lebenskenntnis, die denn ja auch beim Reiterleben auf grünem Plan nicht so leicht zu gewinnen sein mochte. Es war da eine Tirade im Stück, über die sie nicht hinwegkam, sondern an der sie kritisch-grüblerisch hängen blieb, bis sie gewahr wurde, daß sie mehreres Nachfolgende darüber ganz überhört und versäumt hatte; ja, noch beim Verlassen des Theaters dachte sie mit Unzufriedenheit daran zurück. Es war so, daß jemand die Tollkühnheit als edel gerühmt hatte, worauf ein reiferes Urteil die allzu große Bereitschaft der Menschen mißbilligte, die Frechheit edel zu heißen. Habe einer nur den Mut, das Heilige und allen Werte mit frechen Händen anzufallen, gleich mache man {434} ihn zum Helden, nenne ihn groß und zähle ihn zu den Sternen der Geschichte. Aber nicht die Ruchlosigkeit, ließ der Dichter sagen, mache den Helden aus. Diejenige Grenze der Menschheit, die an die Hölle stoße, sei gar leicht übersprungen; es sei das eine Wagnis, zu der nur gemeine Schlechtigkeit
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