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Lost Place Vienna (German Edition)

Lost Place Vienna (German Edition)

Titel: Lost Place Vienna (German Edition)
Autoren: Lost Place Vienna
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Normalerweise brachten sie keine zehn
Pferde in die Nähe eines Grabes. Die einzigen Beerdigungen, die sie nie
verpasste, waren die des englischen Königshauses, des Papstes und ähnlicher
Prominenter ersten Ranges. Bei Lady Di hatte sie es geschafft, acht Päckchen
Papiertaschentücher zu verbrauchen. Beim Tod von Michael Jackson kam sie
lediglich auf drei. Er stand ihr dann doch nicht so nah. Bei der Queen würden
es sicherlich sechs Päckchen werden, bei Papst Benedikt war Belledin sich
völlig unsicher.
    Sie schnäuzte sich in ein Papiertaschentuch und riss ein neues
Päckchen auf. Es war bereits das zweite. Dafür, dass der Heilpraktiker kein
Prominenter war, war dies beachtlich.
    Belledin überlegte kurz, ob sie auch etwas mit diesem Don Juan
gehabt hatte. Es kursierten einige Gerüchte, aber er vertrieb den Gedanken
wieder. Und wenn schon, dachte er, solange er noch jeden Mittwoch an die Reihe
kam, ging das in Ordnung. Immerhin hatte es Biggi mit Hartmanns Hilfe
geschafft, innerhalb von sechs Monaten fünfzehn Kilo abzunehmen und eine
schwere Krise zu überstehen. Sie war dadurch in einen zweiten Frühling
gerauscht, der auch Belledin zugutekam. Er hatte sich sogar überlegt, ob er
Hartmann nicht selbst konsultieren sollte. Seit er sein Knie wegen des
Kreuzbandrisses schonen musste, war an Bewegung überhaupt nicht mehr zu denken,
und Biggi schien durch den eigenen Gewichtsabbau noch mehr Freude daran zu
haben, ihn kulinarisch zu verwöhnen.
    Ein hysterischer Schrei riss Belledin aus seinen Gedanken. Silke
Brenn war am Grab auf die Knie gefallen. Sie riss die Arme gen Himmel und
schrie so laut, dass es sogar die Totenglocken schwer haben würden,
dagegenzuhalten. Sofort waren Silkes Schwester Margit und der Pfarrer bei ihr,
um sie vom Boden zu heben und tröstend beiseite zu führen. Die Umstehenden
begannen zu tuscheln.
    Belledin zückte seinen Notizblock und protokollierte Silkes
Zusammenbruch. Immerhin war sie die amtierende Weinkönigin der Gegend und stand
kurz davor, zu heiraten. Da brach man doch nicht einfach so am Grab eines
anderen Mannes zusammen.
    Er hatte noch nicht zu Ende geschrieben, da zog ihn Biggi am Arm.
Sie wollte nun ebenfalls ans Grab. Belledin gehorchte und geleitete sie an die
Stelle, an der Silke kurz zuvor niedergesunken war. Er würde später einige
Fragen an sie zu richten haben. Jetzt hoffte er inständig, dass Biggi nicht
auch so eine Szene veranstaltete. Aber sie hielt sich tapfer. Sie schnäuzte in
ein frisches Papiertaschentuch, warf eine Schaufel Erde auf den Sarg und fragte
sich kurz, ob sie nun wieder zunehmen würde.
    * * *
    Die Abzüge baumelten an Wäscheklammern und tropften ins Säurebad.
Killian gefiel der Anblick: Er hatte die letzten vier Wochen damit verbracht,
den andauernden Regen zu fotografieren, und jetzt plätscherte er sogar aus den
Fotos heraus. Vielleicht sollte er davon ein Foto machen? Ein Foto vom
Regenfoto, aus dem es heraustropfte? Vielleicht sollte er die Tropfen dann auch
noch farblich nachbearbeiten? Dunkelrot? Ein Regen, der sich in Blut
verwandelte, nachdem er fotografiert worden war? Roter Regen.
    Killian ließ die inneren Bilder und Phantasien zu, er wusste, dass
es zur Bewältigung seiner Kriegstraumata gehörte. Er sah nun tatsächlich Blut
aus den frisch abgezogenen Fotos tropfen. Das Plastikbecken färbte sich rot,
gestaltete sich zu einem wilden Strudel, der Rohina mit sich in den Abgrund
riss. Dann warf jemand Steine auf den Blutsee, und sie hüpften über das Rot,
bis auch sie in der Lache ertranken. Killian erkannte den Werfer der Steine. Er
war es selbst.
    Er riss sich von seinem verschwommenen Spiegelbild los, stieß die
Tür der Dunkelkammer auf und rang nach Atem. Dann ließ er sich erschöpft auf
sein barockes Sofa fallen und versuchte, seine Gedanken in andere Bahnen zu
lenken.
    Er dachte an seine Tochter Swintha. Ob ihr Berlin gefiel? Er selbst
hatte die Prüfung an der Hochschule der Künste damals ebenfalls bestanden,
hatte das Studium dann aber bereits nach dem ersten Semester abgebrochen, weil
ihm das Kunstgesülze über Fotografie zuwider gewesen war. Für Killian war
Fotografie nicht das Festhalten des Moments, nicht das Einfrieren des
Augenblicks, sondern die Entdeckung der Bewegung in der scheinbaren Ruhe. Und
dafür hatte er in die Welt ziehen müssen. Dorthin, wo die Bewegung am wildesten
tobte: in den Krieg. Und schon wieder waren seine Gedanken dort, wohin sie
nicht sollten. Hinter den Linien seiner eigenen
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