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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang
Autoren: Petra Oelker
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einer «Buchhandlung der Gelehrten», die Lessing und Bode eröffnen wollten. In den letzten Tagen hatten sie ständig in der Schankstube zusammengesessen und darüber debattiert.
    Es war seltsam. Der Erfolg des Gastspiels am hannoverschen Schloßtheater hatte alle beflügelt, und obwohl ständig davon gesprochen wurde, wie glanzvoll die kommende Saison werden würde, schienen alle auch eigene Pläne zu verfolgen. Da kamen Briefe aus anderen Städten, von anderen Theatern, die heimlich und schnell beantwortet wurden. Da wurde über Mademoiselle Klenze geflüstert, die gar die Bühne verlassen und einen Schneider heiraten wolle; ein Oboist und der erste Gehilfe des Maschinenmeisters, ein wahrer Künstler in der Konstruktion von Donner- und Windmaschinen, waren gleich in Hannover geblieben, und von Monsieur Günther hieß es, er habe seinen Reisekorb gar nicht erst ausgepackt, was aber niemanden ernstlich grämte, da seinem Spiel schon immer jeder Schmelz gefehlt hatte.
    Auch Rosina hatte einen Brief bekommen, nicht von einem bedeutenden Theater wie dem zu Berlin, der Postreiter aus Braunschweig hatte ihn gestern gebracht. Er war von Helena, und sie schrieb, die Beckersche Gesellschaft habe schöne Aufführungen gehabt und auch guten, tatsächlich sogar sehr guten Applaus, und nun sei man zu Ostern nach Schleswig engagiert. Dann berichtete sie von Jeans neuesten Kapriolen, von Gesines Kostümkreationen und von Rudolfs unerhörtem neuem Flugwerk, das der braunschweigische Herzog persönlich ausprobieren wollte, was er, ein recht beleibter Mensch, jedoch nach energischer Ermahnung seiner Herzogin glücklicherweise unterlassen habe. Nachdem Helena auch erzählt hatte, daß Muto immer noch nicht spreche, Titus dafür aber um so mehr, und zwar mit Vorliebe von ihr, Rosina, fuhr sie fort: «Natürlich reisen wir über Hamburg nach dem Norden, und wir alle hoffen, dich dort froh und erfolgreich zu finden. Wir sind sehr stolz auf dich, aber wir grämen uns auch sehr, daß dir unsere kleine Bühne nun nicht mehr genug sein kann. Dein Platz, liebste Freundin, ist bei uns dennoch immer frei.» Und überhaupt liege in Braunschweig in diesem Winter nicht sehr viel Schnee, obwohl vom Harz viel kalter Wind und auch Eisnebel komme.
    Rosina sah hinunter zur Bühne, von der sie sich so viel erhofft hatte. Die gehörte heute nur dem Orchester. Die Kulissen lagen im Dunkel, die heitere Landschaft, die sie heute zeigten, war nur ein Schemen. Aber die vergoldeten Gesimse und Kapitelle der korinthischen Säulen auf ihren Marmorsockeln links und rechts des Proszeniums schimmerten festlich im Licht der Kerzen. Das Orchester spielte nun ein ruhiges Zwischenstück, und die Tanzenden erholten sich bei Punsch und Wein. Einer der vorderen Hocker, der des Ersten Violinisten, war leer, sie beugte sich weiterüber die geschwungene Brüstung der Loge, aber David war trotzdem nicht zu sehen. Nicht einmal seine Violine hatte er auf dem Hocker zurückgelassen. Ihr Blick wanderte zurück über das Parkett, aber auch bei den Tanzenden, die nun für einen Contredanse Aufstellung nahmen, fand sie ihn nicht. Doch da erklangen schon die ersten Töne aus dem Orchester, sanft und schmelzend wie aus einer fernen Landschaft. Aber keiner der drei Violinisten, die dort unten auf ihren Hockern saßen und noch in ihren Noten blätterten, hatte schon den Bogen angelegt. Die Töne kamen näher, wurden heiterer, tanzender, und nun erkannte sie das Lied. Es war ein altes englisches Lied, das vom Lavendel sang und die Liebe meinte. David hatte es in den letzten Wochen oft gespielt, aber gewiß wußte er nicht, daß Anne Herrmanns, die das Lied kannte, ihr die Worte gesagt hatte.
    Sie lächelte und fühlte wieder Helenas Brief in ihrer Tasche. Wie hatte diese in ihrem Postscriptum geschrieben? Sie habe gehört, man wolle auch einen Violinisten von ganz außerordentlichem Ruf nach Schleswig engagieren, er sei zur Zeit im Engagement in Hamburg und heiße David Irgendwas, sie könne sich ja von jeher keine Namen merken, und ob Rosina ihn kenne?
    Schleswig, dachte sie. Die kleine Stadt im Norden schien ihr plötzlich goldenere Dächer zu haben als das geheimnisvolle St.   Petersburg, von dem man sagte, daß es glänze wie eine himmlische Vision.

GLOSSAR
    Ackermann, Konrad Ernst (1712   –   1771)
war einer der bedeut endsten deutschen Schauspieler und Prinzipale des 18.   Jhs. Das von ihm 1765 auf eigene Kosten errichtete Theater am Gänsemarkt mußte wegen Geldmangels
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