Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
so wunderbar gedeihen sah.
    Was Niklas’ Bruder Christian darüber dachte, wußte Rosina nicht. Sie sah ihn unten im Saal, man tanzte gerade eine französische Gavotte, und die Dame an seiner Seite war eine zerbrechliche dunkle Schönheit, das Haar voll zierlicher Seidenblüten in der gleichen Rosenfarbe wie ihr Kleid. Christians Wangen zeigten mehr als Rosenfarbe, seine Augen hingen an den Himbeerlippen der jungen Dame – und sahen leider überhaupt nicht nach Henny Bauer. Die sah auch sehr schön aus, wenn auch bei weitem nicht so zerbrechlich, und bemühte sich stets und leider nicht ganz unauffällig, ihren Bruder Lorenz in Christians Nähe zu steuern, so daß sie wenigstens bei dem Wechseln der Paare für kurze Zeit seine Hand und Aufmerksamkeit erobern konnte.
    Die Liebe, dachte Rosina mit einem Blick auf Hennys gerötetes Gesicht, kann doch sehr anstrengend sein. Und auf Amor ist nur in den Komödien Verlaß.
    Amor hatte an diesem Abend sehr viel zu tun, und einmal hatte sich sein Pfeil auch zu Henner Schwarzbach verirrt. Man hatte ihn schon einige Male mit Madame Marburgergesehen, der begüterten Witwe eines vor anderthalb Jahren auf unschöne Weise ums Leben gekommenen Zuckerbäckers. Heute glänzten die Augen in seinem Fuchsgesicht wie heißer Mocca mit viel Sahne, und Madame Marburger, bei all ihrer rosigen Fülle eine sich unermüdlich und zierlich wiegende Tänzerin, genoß diese Hitze offensichtlich. Schwarzbach war auch aus anderem Grund guter Laune. Er hatte im letzten Herbst zwar nur das Musterbuch zurückbekommen, aber das wertvollere Rezeptheft seines Coloristen Bader war verschwunden geblieben, und er hoffte, der ebenfalls verschwundene Lukas Blank schmore längst in einer besonders gräßlichen Hölle. Doch der größte Ärger mit Bader war erst einmal überstanden. Natürlich hatte der Couleurmeister einen großen Tanz veranstaltet. Mit dem Heft sei die ganze Erfahrung seines Arbeitslebens verloren, natürlich habe er die Rezepte im Kopf, aber vielleicht doch nicht so genau, und vor allem könne nun jeder dumme, kleine Drucker seine Rezepte kaufen und nachmachen. Das sei ein Skandal, Schwarzbach trage die Schuld, er müsse ihn nun teuer entschädigen.
    Das hatte er sich so gedacht! Schwarzbach wußte genau, wie teuer das kommen konnte, erst kürzlich hatte der kaiserliche Gesandte in Holland für ein einziges Rezept hundert Dukaten bezahlt. Hundert Dukaten! Die Schuldfrage, hatte er Bader erklärt und sich die Hände gerieben, sei doch recht kompliziert, man wolle sie um der Gerechtigkeit willen am besten den Gerichten überlassen. Baders eiliges Angebot, man könne sich gewiß auch selbst einigen, er sei ja zu großem Entgegenkommen bereit, hatte der Manufakteur freundlich, aber unerbittlich abgelehnt. Nun lag diese lästige Sache bei Gericht, und wie jeder wußte, konnte sich so ein Prozeß Jahre hinziehen, mit Glück viele Jahre.
    Alles in allem, fand Schwarzbach, war er nach dem ganzen Debakel fein heraus. Er hatte nichts verloren, außer Freda Blank, und darüber war er heilfroh. Er fühlte Madame Marburgers mollige Hand in der seinen und dachte: Die hagere, strenge Schwester eines Diebes! Wie hatte er nur so dumm sein können?
    Freda Blank, das wußte jeder in der Stadt, obwohl niemand darüber redete, hatte sich schon in den letzten Oktobertagen, allen Herbststürmen trotzend, auf den Weg nach Estland gemacht. Sie reiste nicht allein, sondern begleitete einen Kaufmann aus Reval, der in Hamburg Kattunlieferungen ausgehandelt hatte. Er war auch für seine noch kleine Manufaktur auf der Suche nach einem guten Musterzeichner gewesen, und nachdem er Fredas Muster gesehen hatte, scherte ihn nicht mehr, daß Mademoiselle Blank eine Frau war und zudem einen betrügerischen Bruder hatte. Es hieß, er sei ein sehr kunstliebender und weitgereister Mann, und daß Freda, die doch immer ehrbar gewesen war, auf diese Weise eine neue Zukunft gefunden habe, sei nur gerecht.
    Über Robert Bellham jedoch wurde an diesem Abend immer noch geredet. Senator van Witten saß mit drei anderen Senatoren in einer Loge nahe der Bühne und beklagte, daß noch immer keine Nachricht aus England gekommen sei. Bellham war nicht, wie man allgemein angenommen hatte, verschwunden, sondern tatsächlich in Geschäften in Glückstadt gewesen und bei seiner Rückkehr gleich unten am Hafen von der Wedde empfangen worden. Allerdings wurde er nicht in der Fronerei arretiert, als Mitglied der Merchant Adventurers unterstand er der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher