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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang
Autoren: Petra Oelker
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englischen Gerichtsbarkeit, und so wurde er in das «Englische Haus» an der Gröninger Straße gebracht. Bald darauf war er verschwunden, mit dem nächsten Schiff nachEngland. Leider, fand van Witten, sei das Schiff nicht in einem Oktobersturm untergegangen, sondern heil in London angekommen. Welche Strafe Bellham für seine schändliche Spionage dort erwarte, sei ungewiß. Wäre er mit dem Musterbuch gekommen, knurrte der Senator, hätte man ihn gewiß mit einem Orden belohnt. Und nun sei es nur eine Frage der Zeit, wann er wieder zu Hause beim Port vorm Kamin sitze und das nächste krumme Geschäft austüftele. Madame van Witten hätte zwar gemeint, Gott habe ihn mit seiner mörderischen Frau schon genug gestraft, aber der Ansicht sei er nicht. Alles könne man Gott nun doch nicht überlassen. Woraufhin die anderen bedächtig zustimmend nickten.
    Unterhalb der Loge der Senatoren entdeckte Rosina nun Madame Hensel, die ihr am Tag vor Weihnachten in einer Aufwallung von Milde angeboten hatte, sie Friederike zu nennen. Madame Hensel hatte sich mit Abel Seyler unter die Tanzenden gemischt. Sie trug ein prächtiges Kleid aus silbrig schimmernder weißer Seide, ihr hoch aufgetürmtes, reichgepudertes Haar ließ sie noch größer erscheinen als sonst, die schwarze Maske mit der silbernen Litze um die Öffnungen für die Augen betonte den kühnen Schnitt ihres Gesichtes, und sie bewegte sich mit dem Stolz und der Grazie einer Königin. Abel Seyler, auch ein Mensch von hohem Wuchs und der Eleganz des Selbstgewissen, wirkte unbedeutend an ihrer Hand.
    Wohin Rosina auch ihren Blick schickte, überall entdeckte sie Mitglieder des Ensembles. Alle waren da, sogar Clara, die Souffleuse, die trotz des kalten Wetters schon seit Wochen nicht mehr heiser gewesen war, und Mareike, die Zofe, die inzwischen gelernt hatte, Madame Hensels Grillen und Launen als die eines exaltierten Kindes zu verstehen und zu behandeln, was beide sehr zufriedenmachte. Nur Monsieur Ekhof fehlte. Seine Gattin, eine als etwas seltsam bekannte Dame, war heute besonders leidend, und er saß gewiß an ihrem Bett, legte kalte Tücher auf ihre Stirn und las ihr aus dem ergreifenden Roman «Das Leben der schwedischen Gräfin von G   …» von Monsieur Gellert vor, den sie besonders liebte.
    Die Ackermanns, Monsieur, Madame und Charlotte, saßen mit einem jungen Mann auf einer der Bänke, die das Parkett umstanden. Dorothea war es gelungen, ihrer strengen, frommen Mutter zu entkommen. Sie tanzte am anderen Ende des Saales mit einem jungen Mann im weinroten Rock, den Rosina nicht kannte. Ganz gewiß war es niemand aus dem Ensemble. Glück für Dorothea, daß Madame Ackermann in diesen Tagen nur Augen für den jungen Mann hatte, der neben ihr auf der Bank saß und ihre Hand hielt. Friedrich Schröder, ihr Sohn aus erster Ehe und ein bejubelter Tänzer und Akteur, hatte sich entschlossen, in das Ensemble seines Stiefvaters zurück zukehren. Der junge Schröder, hieß es, habe eine große Zukunft vor sich, und vielleicht, so hoffte heimlich Löwen, konnten seine unerschöpfliche Energie und große dramatische Kraft dem Unternehmen am Gänsemarkt endlich zu Glanz verhelfen.
    Löwen war heute außerordentlich heiter. Rosina entdeckte ihn in einer Loge über dem Entree in Gesellschaft von Monsieur Lessing und Monsieur Bode. Der hatte kürzlich eine Druckerei und Buchhandlung eröffnet, von der er sich die beste Zukunft versprach. Bode, neben dem selbst Lessing zierlich wirkte, hatte den Kopf eines Löwen, und obwohl auch seine Nase gewaltig war, strahlte er eine große Heiterkeit und Freundlichkeit aus. Nun lachten die drei Männer schallend, und Madame Löwen, die schmal und still wie immer an der Seite ihres Gatten gesessenund sehnsüchtig auf die Tanzenden unten im Saal hinuntergesehen hatte, zuckte erschreckt zusammen. Monsieur Lessing war nicht mit nach Hannover gereist, sondern in Hamburg geblieben, um in Ruhe an seiner Theaterzeitschrift weiterzuarbeiten. Er komme sehr langsam voran, hatte Rosina reden gehört, und der Winter in der großen Stadt mit all den Freunden, die er sich inzwischen gemacht hatte, den denk- und ganz gewiß auch den spiel- und trinkfreudigen, hatte ihm Vergnüglicheres zu tun gegeben. Nun zog Bode einen knittrigen Bogen aus der Rocktasche, nahm eine Kerze vom Wandleuchter, hielt sie näher an das Papier, und die Männer beugten ihre Köpfe darüber. Wahrscheinlich, dachte Rosina, war es wieder eine Aufstellung der Kosten zur Einrichtung
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