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Lord Stonevilles Geheimnis

Lord Stonevilles Geheimnis

Titel: Lord Stonevilles Geheimnis
Autoren: Sabrina Jeffries
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Nichts war es wert, sein Leben dafür aufs Spiel zu setzen – weder eine Frau noch die Ehre und ganz gewiss nicht ein guter Ruf. Aber davon hatte er seine schwachsinnigen Brüder leider noch nicht überzeugen können.
      Gerade Gabe hätte es besser wissen müssen. Die Strecke, die er bei dem Rennen gefahren war, war die gefährlichste in ganz London. An einer Stelle flankierten nämlich zwei gewaltige Felsblöcke den Weg. Sie standen so dicht beieinander, dass nur eine Kutsche zwischen ihnen hindurchpasste, weshalb einer der Fahrer gezwungen war, sich im letzten Moment zurückfallen zu lassen, wenn er nicht mit seiner Kutsche an einem Felsblock zerschellen wollte. Doch es kam häufig vor, dass es jemandem nicht mehr rechtzeitig gelang, das Tempo zu verringern.
      Für die Freunde dieses Sports war es das »Nadelöhr-Rennen«. Für Oliver war es blanker Wahnsinn. Chetwin hatte Gabe zwar Vorfahrt gewährt, aber trotzdem hatte Gabes Kutsche die Kante eines Felsblocks erwischt, wodurch ein Rad abbrach und von dem ganzen Gefährt schließlich nur ein Haufen aus zersplittertem Holz, zerrissenem Leder und verbogenem Metall übrig geblieben war. Gott sei Dank hatten die Pferde überlebt, und Gabe war zum Glück mit einem gebrochenen Schlüsselbein davongekommen.
      »Wisst ihr, Chetwin hat nicht nur mich beleidigt.« Gabe schob das Kinn vor. »Er hat gesagt, ich würde nicht gegen ihn antreten, weil ich genauso feige wäre wie Mutter mit ihrer Schattenschießerei«, erklärte er und wurde immer zorniger. »Er hat sie die Mörderin von Halstead Hall genannt!«
      Die altbekannte Verleumdung ließ sie alle erstarren, und Oliver biss die Zähne zusammen. »Sie ist schon seit Langem tot«, knurrte er. »Ihre Ehre brauchst du nicht mehr zu verteidigen.«
      »Irgendjemand muss es doch tun«, entgegnete Gabe mit eisigem Blick. »Du machst es ja nicht.«
      Verdammt richtig! Sie hatte schließlich das Undenkbare getan, und das konnte Oliver ihr nicht verzeihen. Ebenso wenig, wie er sich verzeihen konnte, dass er es nicht verhindert hatte.
      Die Tür ging auf, und ihre Großmutter betrat gefolgt von Elias Bogg, dem Anwalt der Familie, die Bibliothek. Allen fünf Geschwistern stockte der Atem. Die Anwesenheit des Anwalts verhieß nichts Gutes.
      Während Bogg Platz nahm, blieb die Großmutter am Kopf des Tisches stehen. Sie wirkte müde, und die Erschöpfung grub tiefe Falten in ihr ohnehin schon zerfurchtes Gesicht. Oliver plagten unversehens Schuldgefühle ganz neuer Art. Die Großmutter sah dieser Tage viel älter aus als einundsiebzig, so als habe die Last der Verantwortung ihre Schultern gebeugt und sie insgesamt schrumpfen lassen.
      Er hatte versucht, sie zu überreden, als Direktorin der Brauerei zurückzutreten, die der Großvater gegründet hatte. Sie musste unbedingt einen Geschäftsführer einstellen, aber sie weigerte sich standhaft. Sie möge die Arbeit, sagte sie immer und pflegte zu fragen, was sie stattdessen tun solle. Etwa auf dem Land hocken und sticken? Und dann lachte sie jedes Mal angesichts der Vorstellung, als Bierbrauerwitwe mit dem Stickrahmen auf dem Schoß in einem Schaukelstuhl zu sitzen.
      Und vielleicht hatte sie auch allen Grund zu lachen. Hester »Hetty« Plumtree war eine »Bürgerliche«, wie viele es nennen würden. Ihre Eltern hatten das Wirtshaus geführt, in der sie ihren Ehemann kennengelernt hatte, und sie hatten aus dem einstigen Brauhaus Plumtree ein Imperium gemacht, durch das sie es sich hatten leisten können, Olivers Mutter Prudence auf die besten Schulen zu schicken. Dieses Imperium hatte es Prudence zudem ermöglicht, sich einen verarmten Marquess als Ehemann zu angeln.
      Die Großmutter war immer sehr stolz darauf gewesen, dass es ihrer Tochter gelungen war, die Familie mit einer der ältesten Seitenlinien des englischen Adels zu verbinden. Doch sie selbst vermochte den »Makel des Gewerbes«, der ihr anhaftete, nie ganz zu verbergen. Er kam hin und wieder zum Vorschein, wenn sie beispielsweise einen Schluck Bier zum Dinner trank oder über einen unanständigen Witz lachte.
      Aber sie hatte sich in den Kopf gesetzt, dass ihre Enkel wurden, was ihr selbst immer verwehrt geblieben war: echte Adelige. Sie verabscheute den Hang der jungen Leute, die Gesellschaft zu provozieren, in deren Augen sie allesamt die frevelhaften Sprösslinge eines skandalösen Paars waren. Nachdem sie sich unentwegt um den sozialen Aufstieg ihrer Familie bemüht hatte, war sie der Ansicht,
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