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Lord Stonevilles Geheimnis

Lord Stonevilles Geheimnis

Titel: Lord Stonevilles Geheimnis
Autoren: Sabrina Jeffries
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wohlbekannte Kutsche die Auffahrt heraufkommen, und sein Herz schlug höher. Großmutter! Gott sei Dank war sie endlich eingetroffen; auf ihre eigene Mutter hörte Mutter vielleicht.
      Oliver erreichte die Auffahrt genau in dem Moment, als die Kutsche anhielt. Er eilte rasch darauf zu und öffnete seiner Großmutter die Tür.
      »Sieh mal einer an! Was für eine angenehme Überraschung!«, sagte sie mit einem liebevollen Lächeln, als sie ausstieg. »Freut mich zu sehen, dass dir deine Manieren nicht abhandengekommen sind, wie es bei anderen Schlingeln in deinem Alter der Fall ist.«
      Normalerweise hätte er etwas Amüsantes erwidert und sich im Spaß ein wenig mit seiner Großmutter gekabbelt, aber an diesem Tag, mit der Angst im Nacken, war ihm nicht danach.
      Er bot ihr den Arm, um sie zum Haus zu geleiten. »Mutter ist wütend auf Vater«, raunte er ihr leise zu. Die Bediensteten durften es nicht hören. Die halbe Welt klatschte bereits über die Seitensprünge seines Vaters, da musste er nicht noch Öl ins Feuer gießen.
      »Das ist doch nichts Neues, oder?«, entgegnete seine Großmutter trocken.
      »Diesmal ist es anders. Sie hatte einen regelrechten Tobsuchtsanfall. Wir haben uns gestritten, und dann ist sie allein zur Jagdhütte geritten.«
      »Wahrscheinlich sucht sie ihn.«
      »Das befürchte ich. Du weißt doch, wie gern er sie provoziert. Wenn sie ihn in der Hütte findet, ist sie zu allem fähig.«
      »Gut.« Seine Großmutter schenkte ihm ein schelmisches Lächeln. »Vielleicht legt sie diese unselige Hütte ja in Schutt und Asche. Dann kann Lewis sich dort wenigstens nicht mehr mit seinen kleinen Flittchen treffen!«
      »Verdammt, Großmutter, es ist mein Ernst!« Angesichts seiner Ausdrucksweise zog sie eine Augenbraue hoch, und er verkniff sich einen weiteren Fluch. »Verzeih mir, aber es ist wirklich anders als sonst. Du musst ihr folgen, mit ihr reden und sie beruhigen. Es ist wichtig! Auf mich hört sie doch nicht!«
      Seine Großmutter kniff die Augen zusammen. »Kann es sein, dass du mir etwas verschweigst?«
      Er errötete. »Nein, natürlich nicht.«
      »Lüg deine Großmutter nicht an! Worüber hast du dich mit deiner Mutter gestritten?«
      Er konnte es ihr unmöglich sagen. Er zuckte jedes Mal zusammen, wenn er daran dachte. »Spielt keine Rolle. Glaub mir einfach, wenn ich sage, dass sie dich braucht.«
      Seine Großmutter schnaubte. »Deine Mutter hat mich nicht mehr gebraucht, seit ich sie zur Welt gebracht habe!«
      »Aber Großmutter …«
      »Hör zu, Oliver«, sagte sie und tätschelte seine Hand, als wäre er ein kleines Kind. »Ich weiß, wie nah du deiner Mutter stehst und dass es dich bestürzt, sie so wütend zu sehen. Aber wenn du sie ein Weilchen in Ruhe lässt, damit sie sich abregen kann, kommt alles wieder in Ordnung, das verspreche ich dir.«
      »Nein, du musst …«
      »Genug davon!«, herrschte sie ihn ungeduldig an. »Ich habe eine lange, anstrengende Reise hinter mir und bin müde. Was ich jetzt brauche, ist ein heißer Tee und ein kleines Nickerchen. Ich habe nicht die geringste Lust, mich in die Streitereien deiner Eltern einzumischen.« Als er sie voller Verzweiflung ansah, lenkte sie ein. »Na gut, wenn sie bei Einbruch der Dunkelheit noch nicht zurück ist, suche ich sie, das verspreche ich dir. Aber du wirst sehen: Bis dahin ist sie längst wieder da. Sie wird sich vielmals entschuldigen, und damit ist die Sache vergessen.«
      Aber seine Mutter kehrte nie wieder heim. Noch am selben Abend erschoss sie in der Jagdhütte zuerst ihren Mann und dann sich selbst.
      Und Olivers Leben war nicht mehr das Gleiche.
     

 
     
  1
     
        Ealing
      1825
      Oliver stand in der Bibliothek von Halstead Hall am Fenster und starrte hinaus. Der triste Wintertag drückte nur noch mehr auf seine Stimmung, während er sich bemühte, seine schmerzlichen Erinnerungen wieder in der eisernen Truhe zu verstauen, in der er sie seit jeher verwahrte. Doch auf dem Land war dies viel schwieriger als in der Stadt, wo er sich mit Wein und Weibern ablenken konnte.
      Nicht dass die Zerstreuung lange währte. Der Skandal lag zwar schon neunzehn Jahre zurück, aber die alten Gerüchte verfolgten ihn immer noch, wohin er auch ging.
      Seine Großmutter hatte den Gästen an jenem Abend gesagt, ihre Tochter sei zur Jagdhütte geritten, um ein Weilchen für sich zu sein, und sei dort eingeschlafen. Als sie von Geräuschen geweckt wurde, sei sie in
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