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Lord Stonevilles Geheimnis

Lord Stonevilles Geheimnis

Titel: Lord Stonevilles Geheimnis
Autoren: Sabrina Jeffries
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Panik geraten und habe den Mann erschossen, den sie für einen Einbrecher hielt, nur um kurz darauf festzustellen, dass es sich um ihren Ehemann handelte. In ihrem Schockzustand habe sie dann die Pistole gegen sich gerichtet.
      Es war eine allenfalls dürftige Geschichte zur Vertuschung eines Mordes und eines Selbstmordes, und das Gerede hatte nie ganz aufgehört, denn die Gäste hatten seinerzeit allerhand Spekulationen über die Wahrheit angestellt. Die Großmutter hatte Oliver und seinen Geschwistern untersagt, mit irgendjemandem darüber zu sprechen – auch nicht miteinander.
      Nur so könne man den Gerüchten den Garaus machen, hatte sie gesagt, aber Oliver hatte sich oft gefragt, ob ihr Verbot vielleicht daher rührte, dass sie ihn für das verantwortlich machte, was geschehen war. Warum hatte sie ihre Meinung wohl sonst in den letzten Monaten geändert und ihn immer wieder zu dem Streit zwischen ihm und seiner Mutter an jenem Abend befragt? Er hatte ihr natürlich nicht geantwortet. Schon bei dem Gedanken, ihr davon zu erzählen, drehte sich ihm der Magen um.
      Er wendete sich ruckartig vom Fenster ab und ging neben dem Tisch auf und ab, an dem seine Geschwister saßen und auf die Großmutter warteten. Genau aus diesem Grund hielt er sich von Halstead Hall fern: Es versetzte ihn immer in eine melancholische Stimmung.
      Warum in Gottes Namen hatte seine Großmutter darum gebeten, dass ihre verdammte Familienversammlung auf dem Land stattfand? Das Haus war seit Jahren unbewohnt. Es stank nach Schimmel und Moder, und obendrein war es eiskalt in diesem Bau. Der einzige Raum ohne schützende weiße Laken auf den Möbeln war das Arbeitszimmer, in dem sein Verwalter die Bücher führte. In der Bibliothek hatten sie die Laken eigens wegen dieser Versammlung entfernen müssen, die Großmutter sehr wohl in ihrem Haus in der Stadt hätte abhalten können.
      Normalerweise hätte er ihr die Bitte um ein Treffen auf seinem verwahrlosten Anwesen abgeschlagen. Doch seit dem Unfall seines Bruders Gabriel drei Tage zuvor bewegten er und seine Geschwister sich auf dünnem Eis, was die Großmutter anging. Ihr ungewöhnliches Schweigen über den Vorfall war ein deutliches Zeichen: Es war etwas im Busch. Und Oliver hatte den Verdacht, dass es nichts Erfreuliches für ihn und seine Geschwister war.
      »Wie geht es deiner Schulter?«, fragte Minerva Gabe.
      »Wie soll es ihr schon gehen?«, knurrte Gabe. Er trug eine Armschlinge über seinem zerknitterten schwarzen Reitmantel, und sein aschbraunes Haar war wie immer zerzaust. »Tut höllisch weh!«
      »Was fährst du mich so an? Ich bin nicht diejenige, die sich beinahe umgebracht hätte.«
      Die achtundzwanzigjährige Minerva war das mittlere der fünf Geschwister: vier Jahre jünger als Jarret, der Zweitälteste, zwei Jahre älter als Gabe und vier Jahre älter als Nesthäkchen Celia. Aber als das älteste Mädchen unter ihnen neigte sie dazu, die anderen zu bemuttern.
      Sie sah sogar wie ihre Mutter aus – eine Haut wie Samt und Seide, golden durchwirktes braunes Haar und efeugrüne Augen wie Gabe. Die beiden hatten so gut wie keine Ähnlichkeit mit Oliver, der das Aussehen ihres halb italienischen Vaters geerbt hatte: dunkle Augen, dunkles Haar, dunkle Haut. Und ein ebenso dunkles Herz.
      »Es war dein Glück, dass Lieutenant Chetwin gerade noch rechtzeitig einen Rückzieher gemacht hat«, sagte Celia zu Gabe. Sie war eine etwas hellere Ausgabe von Oliver, so als hätte jemand dem dunklen Teint einen Klecks Sahne beigemischt, und ihre Augen waren haselnussbraun. »Er soll angeblich mehr Mut als Verstand besitzen.«
      »Dann sind er und Gabe ja ein gutes Gespann«, brummte Oliver.
      »Nun lass ihn doch endlich in Ruhe!«, herrschte Jarret ihn an. Er kam einer Mischung aus beiden Elternteilen am nächsten, denn er hatte schwarzes Haar, aber blaugrüne Augen, und Olivers italienische Züge fehlten ihm völlig. »Du hackst seit diesem blöden Kutschenrennen ständig auf ihm herum. Er war betrunken – ein Zustand, der dir bestens vertraut sein sollte.«
      Oliver ging augenblicklich auf Jarret los. »Ja, aber du warst nicht betrunken, und trotzdem hast du zugelassen, dass …«
      »Mach Jarret nicht dafür verantwortlich«, warf Gabe ein. »Chetwin hat mich herausgefordert. Ich hätte für alle Zeiten als Feigling dagestanden, wenn ich nicht mitgemacht hätte.«
      »Besser ein Feigling als tot.« Oliver hatte kein Verständnis für solche Dummheiten.
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