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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma
Autoren: Michael Marrak
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Stirn rührte kaum noch von unserem Liebesakt oder der Abendhitze her, die über der Wüste lag. Hier war es immer Abend, und es war immer heiß. Die Straße führte hinab in einen postkartenstarren, bombastischen Sonnenuntergang, hinter uns die Dunkelheit einer Nacht, die uns niemals einholen würde, vor uns das eingefrorene Glühen eines entfliehenden Tages, der unerreichbar war.
    Sand knirschte unter den Wagenreifen. Prill hatte ihre Hände in das Leder ihres Sitzes gekrallt, als erwarte sie jeden Moment eine Beschleunigung auf Mach zwei. Der Pontiac hingegen gewann nur langsam an Fahrt. Großmutterstart nannte ich es. Als ich davon ausging, daß der Wagen von allein weiterrollte, sprang ich auf den Fahrersitz, knallte die Tür zu und lümmelte mich hinter das Lenkrad. Die Straße besaß ein konstantes Gefälle von etwa vier oder fünf Grad. Unter diesem Umständen erreichte der Pontiac nach ein paar Minuten eine Höchstgeschwindigkeit von etwa siebzig Stundenkilometern. Es war angenehm, den Wagen einfach rollen zu lassen, ohne mir über Verkehrsregeln oder Geschwindigkeitsbegrenzungen Gedanken zu machen. Gleichwohl mußte ich auf der Hut sein, denn wir waren auf der Oberfläche nicht ganz allein.
    Die Zonengrenze kam näher. Ich versuchte Prill gegenüber Gelassenheit zu demonstrieren, aber meine Kaltblütigkeit schien ihre Nervosität nur noch zu steigern.
    »Alles wird gutgehen«, sagte ich.
    Sie nahm meine rechte Hand und drückte sie, daß es fast weh tat. »Wie weit noch bis zur Barriere?« fragte sie heiser.
    »Etwa achthundert Meter.«
    »Ich sehe sie nicht.«
    »Sie ist dort vorne, glaub mir. Zwei deiner Vorgängerinnen mußten es am lebendigen Leib erfahren.«
    Prill schluckte schwer. »Was – muß ich tun?«
    »Lehn dich vor, bis dein Kopf unter das Armaturenbrett reicht. Es darf nichts von dir aus dem Wagen gelangen, sonst bleiben Spuren in dieser Zone zurück.«
    »Okay …«
    Sie schloß die Augen und beugte sich über ihre Knie. Ihr Zittern glich bereits einem spastischen Anfall. Ich griff hinter mich, zog eine Ruger aus einem Holster an der Rückseite des Fahrersitzes, legte die Mündung hinter Prills linkes Ohr und drückte ab. Prill zuckte bei dem Schuß ein letztes Mal zusammen und sank schlaff nach vorne. Das Geschoß war aus ihrer rechten Stirnseite ausgetreten und hatte eine Fontäne aus Blut, Hirnmasse und Schädelknochen in den Fußraum geschleudert. Ich atmete tief durch, versuchte mich auf dem Sitz zu entspannen und erwartete die Barriere. Als ich sie passierte, glühten Prills Körper und der Inhalt ihres Schädels im Fußraum für Sekunden wie eine Magnesiumfackel auf, dann war sie verschwunden. Kein Rauch, kein Gestank, keine Brandflecken auf den Polstern, keine Asche. Prill 15 hatte in Zone 36 aufgehört zu existieren.
    Es war mir zur Gewohnheit geworden, ihre Klone zu numerieren. Modelldenken. Im Grunde hatte Prill recht. Aber eine wie die andere waren sie nun mal Klone; Dutzende, vielleicht sogar Hunderte. Weiß Gott, wie lang diese Straße war und wie viele Bunker es gab. Ich war mir sicher, daß selbst die Lords für ihre Geschöpfe nur Nummern besaßen.
    Mit Prill 1 war ich damals ahnungslos durch die Barriere gerauscht, nicht ahnend, was im selben Augenblick mit ihr geschehen würde. Gamma hatte mich nicht gewarnt, und ich hatte es nicht wissen können. Lebendige Klone brennen länger. Viel länger. Ich wußte nicht, woran es lag. Die Erfahrung jedenfalls war furchtbar gewesen; für Prill 1 ebenso wie für mich, der ich nichts dagegen hatte unternehmen können.
    Prill 6 war eine hoffnungslose Zweiflerin gewesen. Sie hatte nicht an die Barrieren geglaubt. Nachdem ich sie förmlich angefleht hatte, mir zu vertrauen, wollte sie die Barriere spüren und bestand darauf, daß ich den Wagen fünfzig Meter vor der Grenze stoppte. Dann war sie ausgestiegen und auf das unsichtbare Hindernis zugelaufen, die Arme ausgestreckt wie eine Schlafwandlerin. Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, ihr einfach in den Rücken zu schießen, um sie an ihrem Vorhaben zu hindern. Die Skrupel hatten damals noch gesiegt. So war ich im Wagen zurückgeblieben und hatte zugesehen, wie sie Schritt für Schritt die Straße hinunter gelaufen war, bis sie die Barriere erreicht hatte. Ihre Finger hatten sonnenhell aufgeglüht, waren verdampft oder hatten sich entmaterialisiert, ich wußte es nicht. Ich werde ihre Schreie wohl nie vergessen, diese Komposition aus allumfassender Erkenntnis und unbeschreiblichem
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