Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma
Autoren: Michael Marrak
Vom Netzwerk:
anstrengend. Ganz besonders Prills Gemütsverfassung am Ende der Zonen …
    Da ich das Gefühl hatte, sie wäre noch nicht soweit, zündete ich mir eine neue Zigarette an, drehte den Fahrersitz zurück und blies Rauchringe in den Himmel. Nirgendwo im Universum schien der Begriff ›Fixsterne‹ zutreffender zu sein als für das Firmament über der Straße. Keiner der Sterne flackerte im Dunst der Atmosphäre oder wanderte über diese Welt hinweg. Der Himmel war starr, wie alles hier.
    Prills Hand erschien vor meinem Gesicht, zog mir die Zigarette aus den Lippen und führte sie an ihre eigenen. Sie war Ende zwanzig, sah aus wie eine schwarzhaarige Version von Eva Marie Saint und trug ein kleines, dreieckiges Muttermal auf der linken Wange. In ihren Adern kochte ein leicht explosives Gemisch aus fünfundzwanzig Prozent Cree-Blut und fünfundsiebzig Prozent amerikanischer Nonchalance. Ihre indianische Abstammung kam nur in Ausnahmesituationen zur Geltung; wie jetzt. Minutenlang rauchte sie schweigend. Ihr Atem ging hektisch, während ihre Knie weiterhin auf und ab wippten.
    »Überträgst du meinem Original diesen Tag?« fragte sie schließlich. »Ich möchte mich an ihn erinnern, wenn wir draußen sind.« Sie sagte wir, das beruhigte mich ein wenig. Scheinbar sah sie sich und ihre Ebenbilder mittlerweile als Persönlichkeitskomplex. Vielleicht war es auch nur Zweckoptimismus, um sich nicht gänzlich verloren zu geben.
    Ich lächelte. »Natürlich.«
    »Versprich es!«
    »Ich schwöre es sogar, Kleines. Vertrau mir! Wir beide, oder keiner von uns.«
    Prill blickte ernst. »Ich habe Angst …«
    »Ja, ich weiß. Es ist ein dreckiger Handel. Aber glaub mir, der Schlüssel wird bei einem deiner Modelle funktionieren.«
    »Ich hasse dieses Wort!« fauchte Prill verächtlich. »Modelle … Das klingt, als wäre ich ein Serienprodukt, ein Roboter. Ich – ich bin ein menschliches Wesen, verdammt noch mal!« Sie weinte. Mal wieder. Wie vor jeder Zonengrenze, wenn es ans Eingemachte ging. »Gott im Himmel, ich bin doch ein Mensch. Bitte sag mir, daß ich ein Mensch bin, Stan!«
    »Natürlich bist du ein Mensch.« Ich zog sie zu mir heran und hielt sie im Arm. Sie zitterte. »Ihr alle seid Menschen, psychisch und physisch. Auch du; bis auf diesen kleinen Schönheitsfehler.«
    »Aber wo bin ich wirklich?«
    »Dein Original? Ich weiß es nicht«, gestand ich. »Gott, was würde ich dafür geben, es zu wissen und einen Weg dorthin zu finden.«
    Prill löste sich wieder von mir und sah gedankenversunken über die Wüste. »So ein Scheißspiel«, stellte sie schließlich und mindestens zum zehnten Mal während der letzten Stunden fest. »Wozu die Stationen, wozu in jeder Zone dieselben Menschen?«
    »Nicht ganz dieselben«, korrigierte ich sie. »Ein Individuum ist in jeder Kolonie verschieden.«
    »Der Lord …«
    »Ja. In jeder Station ein anderer.« Ich sah, daß Prill meine Zigarette fertiggeraucht hatte und mit dem kalten Stummel Aschepunkte auf die Windschutzscheibe tupfte. »Bist du soweit?« fragte ich.
    »Nein«, antwortete sie. »Natürlich nicht. Aber was soll’s. Ich werde nie soweit sein.« Sie sah mich an. »Darf ich dich küssen?«
    »Du küßt mich am Ende immer«, grinste ich.
    Prill schürzte die Lippen. »Na, dann …« Sie zog sich das Sweatshirt über den Kopf, streckte sich und streifte ihre Jeans samt Slip in die Fußzone. Dann kniete sie sich über mich und preßte ihre Lippen auf meinen Mund. »Ich weiß, es klingt albern«, flüsterte sie, als sie wieder Luft holte, »aber – es könnte das letzte Mal sein, daß ich so etwas unter freiem Himmel erleben darf.«
    Wir beanspruchten die Stoßdämpfer des Wagens, als wäre es unsere letzte Nacht auf Erden. Zumindest für Prill traf dieser Vergleich in etwa zu, denn kaum einen Kilometer weiter würde sie bereits aufgehört haben zu existieren. Nicht einmal ihr Geruch würde bis in die nächste Zone an mir haften bleiben. Was das in etwa anging: unser Liebesspiel fand nicht auf der Erde statt. Es fand irgendwo statt, und es war uns im Augenblick gleichgültig, wo. Die häßlichen, langen Narben auf meiner entblößten Brust und meiner rechten Schulter schienen Prill nicht zu stören. Als sie zum Höhepunkt kam, verlieh sie dieser Welt mit ihrem Schrei etwas Wütendes, Verzweifeltes und Endgültiges.
     
    Nachdem wir uns wieder angekleidet hatten und ich ausgestiegen war, um den Wagen auf die Straße zu schieben, versank Prill in Schweigen. Der Schweiß auf ihrer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher