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Long Dark Night

Long Dark Night

Titel: Long Dark Night
Autoren: Ed McBain
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Augenblick lang still. »Sie ist jeden Morgen losgegangen und hat ihr frischen Fisch gekauft, können Sie sich das vorstellen? Ganz egal, wie kalt es war, die alte Lady mit ihrer Arthritis. Irina liebte Fisch.«
    In ihren braunen Augen standen plötzlich Tränen. Hawes wollte sie in die Arme nehmen und trösten. Statt dessen sagte er: »Hatte sie irgendwelche noch lebenden Verwandte?«
    Leute, die wir benachrichtigen müssen, dachte Carella. Fast hätte er geseufzt.
    »Eine verheiratete Tochter in London.«
    »Wissen Sie, wie sie heißt?«
    »Nein.«
    »Irgend jemand hier in den USA?«
    »Ich glaube, eine Enkelin irgendwo in der Stadt.«
    »Haben Sie sie mal getroffen?«
    »Nein.«
    »Kennen Sie zufällig ihren Namen?«
    »Nein, tut mir leid.«
    »Hat Miss Dyalovich je erwähnt, Drohanrufe oder -briefe bekommen zu haben?«
    »Nein.«
    Zieh die komplette Routine ab, dachte Carella. »Hat sie je jemanden vor dem Haus herumlungern sehen?«
    »Nein.«
    »Oder ist ihr jemand gefolgt?«
    »Nein.«
    »Wissen Sie, ob sie vielleicht Feinde gehabt hat?«
    »Nein.«
    »Hat sie sich mit jemandem häufiger gestritten?«
    »Nein.«
    »Hat sie sich überhaupt mal mit jemandem gestritten?«
    »Nein.«
    »Hat sie sich mit jemandem nicht verstanden?«
    »Nein…«
    »Hat sie jemandem Geld geschuldet?«
    »Nein.«
    »Hat jemand ihr Geld geschuldet?«
    »Sie war eine alte Frau, die von der Wohlfahrt lebte. Was für Geld hätte sie verleihen können?«
    Gefeiert auf allen Kontinenten, dachte Hawes. Und endet in einem Drecksloch an der Lincoln Street und lebt von der Wohlfahrt. Nippt am Spätnachmittag Tee und Whisky. Hört sich ihre alten Achtundsiebziger an. Die Hände ganz knotig.
    »Diese Enkelin«, sagte er. »Haben Sie sie je gesehen?«
    »Nein, ich habe sie nie kennengelernt. Das habe ich Ihnen doch gesagt.«
    »Ich frage Sie, ob Sie sie je gesehen haben. Wie sie aus der Wohnung nebenan kam? Oder im Hausflur getroffen? Hat sie ihre Großmutter jemals besucht, das frage ich Sie.«
    »Oh. Nein, ich glaube, sie sind nicht gut miteinander auskommen.«
    »Dann gab es also doch jemanden, mit dem sie sich nicht verstanden hat?« sagte Carella.
    »Ja, aber in der Familie«, tat Karen es achselzuckend ab.
    »Hat Ihnen Miss Dyalovich gesagt, daß sie nicht miteinander ausgekommen sind?«
    »Ja.«
    »Und wann?«
    »Ach, vor zwei, drei Monaten.«
    »Sie kam aus heiterem Himmel darauf zu sprechen?«
    »Nein, sie hat sich beklagt, daß ihre einzige Tochter so weit weg wohnt, in London…«
    »Und wie kam sie dann auf die Enkelin?«
    »Na ja, sie hat gesagt, wenn sie und Priscilla sich nur verstehen würden…«
    »Heißt sie so?« fragte Hawes sofort. »Die Enkelin?«
    »Oh. Ja. Tut mir leid. Mir fiel der Name nicht ein, bis er über meine Lippen kam.«
    »Priscilla und weiter?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Vielleicht fällt Ihnen das auch noch ein.«
    »Nein, ich glaube nicht, daß sie den Nachnamen je erwähnt hat.«
    »Das werden wir aus dem Nachruf erfahren«, sagte Carella. »Heute morgen.« Es war nun genau ein Uhr.
     
    Der Eigentümer des Schnapsladens erzählte ihnen, Samstag sei der beste Tag. Er machte am Samstagabend in der Stunde vor Ladenschluß mehr Umsatz als sonst im ganzen Jahr. Besser sei nur der Neujahrsabend, sagte er ihnen. Noch besser war es natürlich, wenn der Silvesterabend auf einen Samstag fiel. Da konnte nichts mithalten.
    »Bester Abend im ganzen Jahr«, sagte er. »Silvester könnte ich durchgehend geöffnet haben und wäre am Morgen ausverkauft.«
    Es war bereits Sonntag, aber dem Besitzer des Ladens kam es noch wie Samstagabend vor. Vielleicht glaubte er sogar, es wäre noch Weihnachten, obwohl sie schon den 21. Januar schrieben. Im Schaufenster blinkte grün und rot ein kleiner Weihnachtsbaum auf. Kleine Ausschneidefiguren aus Pappe hingen an der Decke und wiederholten endlos: Merry Christmas. Auf Tischen und Theken standen noch Schnapsflaschen in Geschenkverpackung.
    Der Ladenbesitzer hieß Martin Keely. Er war um die achtundsechzig, neunundsechzig Jahre alt, ein kleiner, stämmiger Mann mit einer Trinkernase und dazu passenden Hosenträgern. Er unterbrach immer wieder ihr Gespräch, falls man es so nennen konnte, um Kunden zu bedienen. Zu dieser Nachtstunde verkaufte er hauptsächlich billigen Wein an Penner und Bettler, die mit ihren Tageseinnahmen hereintrotteten. Diese Stadt wurde nach Mitternacht eine ganz andere. Man sah andere Leute auf den Straßen und in den Bars und Clubs, die noch geöffnet hatten.
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