Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Long Dark Night

Long Dark Night

Titel: Long Dark Night
Autoren: Ed McBain
Vom Netzwerk:
Frau in einem schwarzen Abendkleid, die hinter einem Klavier saß. Ihre langen, schlanken Finger ruhten auf den Tasten, und auf ihrem Gesicht lag ein zuversichtliches Lächeln.
    Sie blätterten weiter.
    Die Reaktionen auf ihre Begabung sahen überall auf der Welt gleich aus. Worte wie »atemberaubendes Talent«, »himmelsstürmende Oktaven«, »bezwingende Technik« und »löwenhafter Einsatz und Kraft« fanden sich in allen Kritiken, die im Lauf der Jahre über sie verfaßt wurden. Man konnte den Eindruck gewinnen, das Vokabular der Kritiker habe nicht ausgereicht, um die künstlerischen Fähigkeiten dieser phänomenalen Frau zu beschreiben. Mit vierunddreißig Jahren heiratete sie einen österreichischen Impresario namens Franz Helder…
    »Da ist es«, sagte Hawes. »Mrs. Helder.«
    »Ja.«
    … und brachte im Jahr darauf ihr einziges Kind auf die Welt, das sie Maria nannten, nach der Mutter ihres Mannes. Mit dreiundvierzig Jahren - Maria war damals acht -, genau zwanzig Jahre, nachdem ein junges Mädchen aus Rußland die Stadt im Sturm erobert hatte, kehrte Svetlana nach London zurück, um ein Gedenkkonzert in der Albert Hall zu geben. Der Kritiker der Londoner Times legte einen bemerkenswerten Mangel an britischer Zurückhaltung an den Tag, als er die Darbietung als »überaus glücklichen Anlaß« bezeichnete und Svetlana dann »einen wilden Wirbelsturm, der in der Steppe entfesselt wurde«, nannte.
    Dann folgte eine zehnjährige Pause. »Ich reise nicht gern«, erklärte sie Journalisten. »Ich habe Angst vor dem Fliegen, und in Zügen kann ich nicht schlafen. Und außerdem wächst meine Tochter zu einer jungen Frau heran und braucht jetzt mehr Aufmerksamkeit.« Während dieser Zeit widmete sie sich ausschließlich Plattenaufnahmen für RCA Victor, wo sie zuerst ihr Debütkonzert in Wachs pressen ließ, Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1 in b-moll, und dann Brahms’ Klavierkonzert Nr. 1 in d-moll, eins ihrer Lieblingsstücke. Anschließend interpretierte sie Werke von Mozart, Prokofjew, Schumann, Rachmaninow, Beethoven und Liszt und respektierte dabei stets strikt die Intention des jeweiligen Komponisten, eine künstlerische Sensibilität, die einen bewundernden Kritiker zu der Bemerkung hinriß: »Diese Aufnahmen enthüllen, daß Svetlana Dyalovich vor allem eine vollendete Musikerin ist, die bis in das letzte Detail die Vorgaben des Komponisten befolgt.«
    Kurz nach dem Tod ihres Mannes kehrte Svetlana mit einem triumphalen Erfolg auf die Konzertbühne zurück, verzichtete aber auf die Carnegie Hall zugunsten des Ortes, an dem sie ihren ersten Erfolg gefeiert hatte, der Albert Hall in London. Die Eintrittskarten für diese eine Comeback-Vorstellung waren in anderthalb Stunden ausverkauft gewesen. Ihre Tochter war damals achtzehn, Svetlana war dreiundfünfzig. Vor den donnernden standing ovations spielte sie die Toccata in C-Dur von Bach und Busoni, Schumanns Fantasie in C, Scriabins Sonate Nr. 9 und eine Mazurka, Etüde und Ballade von Chopin. Der Abend war ein absoluter Triumph.
    Aber dann…
    Stille.
    Nach diesem Konzert vor dreißig Jahren fand sich nichts mehr in dem Album. Als sei diese schillernde, berühmte Künstlerin einfach vom Antlitz der Erde verschwunden.
    Bis jetzt.
    Eine Frau, die der Hausmeister als Mrs. Helder kannte, und die um halb eins am Morgen in der kältesten Nacht dieses Jahres tot auf dem Boden einer kühlen Wohnung lag.’
    Sie klappten das Album zu.
    Das Szenario von Monoghan und Monroe hörte sich nicht unwahrscheinlich an. Die Frau geht aus dem Haus, um sich eine Flasche Sprit zu kaufen. Der Einbrecher kommt durch das Fenster, glaubt, das Apartment sei leer. Die meisten Wohnungseinbrüche finden tagsüber statt, wenn man davon ausgehen kann, daß niemand zu Hause ist. Aber einige »Krippenräuber«, wie man sie nennt, meistens verzweifelte Junkies oder Anfänger, steigen immer dann ein, wenn es sie überkommt, einerlei, ob tagsüber oder nachts, wenn sie nur glauben, etwas holen zu können. Okay, der Typ sieht also kein Licht in der Wohnung, bricht das Fenster auf - obwohl die Labortechniker keine Spuren von einem Brecheisen gefunden hatten -, geht rein und macht sich mit der Bude vertraut, während seine Augen sich langsam an das Dunkel gewöhnen. Dann hört er, wie ein Schlüssel ins Schlüsselloch gesteckt wird, die Tür geht auf und das Licht an, und da steht diese erschrockene alte Schachtel mit einer braunen Papiertüte in der einen Hand und einer Handtasche in der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher