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London Boulevard - Kriminalroman

London Boulevard - Kriminalroman

Titel: London Boulevard - Kriminalroman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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herrlichste aller Geschöpfe. Aber der kleine Adler pickt weiter Körner vom Boden, wird alt und stirbt in dem Glauben, ein Huhn zu sein.«
    Ich zuckte mit den Schultern, sagte:
    »Sehr tiefgründig.«
    Er entgegnete nichts, also übernahm ich das selbst:
    »Ich will Ihnen mal was über die mittelmäßigen Krimis erzählen, die ich gelesen habe. Harry Crews! Er hat ›Comic Southern Gothic‹ geschrieben ...«
    Er hob die Hand, sagte:
    »Offensichtlich haben Sie nie was von dem Schwein gehört.«
    »Von welchem ... welches scheiß Schwein?«
    »Das in ... Versuch nie, einem Schwein das Singen beizubringen. Du verschwendest deine Zeit und verärgerst das Schwein. Ich entschuldige mich dafür, geglaubt zu haben, Sie könnten singen.«
    Briony schrie auf, brachte uns ab von dem Weg, auf den uns die Geschichte geführt hätte.
    Sie schlief, aber sie wimmerte. Ich wog sie in den Armen, und sie beruhigte sich. Ich selbst döste, träumte von kopflosen Schweinen
    fliegenden Hühnern
    und
    sprachlosen Leichen.
    Kam wieder zu mir, als Jordan meinen Arm berührte, sagte:
    »Wir gehen besser.«
    Er reichte mir einen Kaffee und eine Pille. Ich schluckte beides. Briony schlief jetzt tief und fest, und ich küsste sie auf die Stirn. Jordan beobachtete uns, sein Gesichtsausdruck war unergründlich.
    Ich sagte: »Nur die Toten kennen Brooklyn.«
    Das war der Titel eines Romans von Thomas Boyle. Jordan wollte vielleicht nichts von Krimis wissen, aber darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen.
    Wir zogen die Regenmäntel über, besprachen leise unseren Plan.
    Meine Fuß- und Fingerspitzen kribbelten. Mein Adrenalinspiegel stieg. Ich fragte:
    »Was zum Teufel geht mit mir vor?«
    »Sie werden fliegen.«
    »Was?«
    »Sagen wir mal, ich habe Ihr Tempo erhöht.«
    »Amphetamine?«
    »So was in der Art.«
    Der Morgen graute. Jordan sagte:
    »Ich wusste nicht, dass ihre Schwester ein Baby hat.«
    »Hat sie nicht.«
    »Da ist ein ganzer Schrank voller Babyklamotten.«
    »Was? Ihr Zimmer haben Sie auch durchwühlt?«
    »Die Macht der Gewohnheit.«
    Das Speed öffnete mir die Augen, riss sie mir weit auf. Jordan prüfte seine Waffe, die Sig Sauer. Ich sagte:
    »Ihnen gefällt das Ding?«
    »Neun Millimeter, was kann einem daran nicht gefallen?«
    Wir gingen raus. Ein Straßenkehrer lehnte an der Wand.
    Zigarettenpause.
    Ein Radio auf seiner Karre dudelte Abba: »I have a Dream.«
    Er sagte: »Morgen Männer.« Ein Ire.
    Ich sagte: »Schönes Wetter.«
    »Wenigstens das ist noch nicht von Sky gekauft.«
    Jordan legte einen Gang ein, und wir fuhren los. Ich dachte an Harry Crews und ein Interview, das er mit Charlie Bronson geführt hatte. Bronson hatte gesagt:
    Es gibt keinen Grund, warum man keine Freunde haben sollte.
    Ganz im Gegenteil. Aber ich finde, man sollte keine Freunde haben, wenn man nicht bereit ist, ihnen Zeit zu schenken.
    Ich schenke niemandem meine Zeit.
    Wir erreichten Gants Haus in weniger als zwanzig Minuten. Man darf wohl sagen, dass ich gerast bin. Es war kurz vor acht. Mein ganzes System war übersteuert. Füße und Hände zuckten, eine Flut hitziger Ideen rauschte durch meinen Kopf. Die Straße war von Bäumen gesäumt. Jordan meinte:
    »Da ist ja ein Boulevard.«
    »Ganz London ist ein scheiß Boulevard.«
    Ein Schulbus fuhr langsam die Straße entlang. Jordan fragte:
    »Haben Sie mal Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen gelesen?«
    »Verzweifelten Menschen ... ja.«
    Er überging die Bemerkung, betrachtete den Bus, fuhr fort:
    »Die Schriften von
    Gurdjieff
    Uspenski
    Sivananda
    Yogananda
    Blavatsky
    Bailey
    verschlingen und ... ah ... sich von der Aufklärung abwenden, erneut in Finsternis verfallen.«
    Ich war schwer versucht, die Liverpooler Mannschaftsaufstellung herunterzubeten, hatte aber Angst, er würde mich erschießen. Gants Haustür ging auf, und eine Frau kam mit einem jungen Mädchen an der Hand heraus. Sie fingerte an der Schultasche der Kleinen herum, knöpfte ihr den Mantel zu, drückte sie kurz. Das Mädchen stieg in den Bus. Die Frau sah dem Bus traurig hinterher. Dann ging sie wieder hinein. Jordan sagte:
    »Los geht’s.«
    Und fragte:
    »Vorder- oder Rückseite?« Ich grinste grimmig, biss die Zähne zusammen und schluckte.

G ibt es einen Soundtrack für Mord? Ich hatte Leonard Cohens »Famous Blue Raincoat« im Kopf. Als ich die Haustür erreichte, nuschelte ich irgendwas von wegen »Music on Clinton Street«. Ich liebe diese Zeile.
    Ich klingelte.
    Glockengeläut!
    Nein, noch schlimmer, es
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