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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern
Autoren: Adolf Muschg
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Danach hatte ihn ein polynesischer Heilzauber wieder so weit hergestellt, wie man ihn heute sah. Schließlich hatten ihm die Insulaner ein seetaugliches Schiff gebaut, und viele hatten ihn in die Zivilisation zurückbegleitet, wenn man Niederländisch-Indien als solche bezeichnen durfte. Erst in Portsmouth habe er sie anständig ins Brot gesetzt und sie englische Mores gelehrt, denn in seiner Wirtschaft dulde er keinen Rückfall in die Verhältnisse von Nukahiwa. Keine Kopfjagd mehr, auch kein Liebesparadies –
ein wenig
Frau, das gehe nicht. Es gehe nur: Schluß mitFrauen! In Greens Junggesellenhaus durfte nur noch
einem
Laster gefrönt werden: dem Spiel.
    Und so führte die steile Hintertreppe jetzt in ein Billardzimmer unter offenem Dach. Wer nicht sogleich, wie Rikord und Golownin, in eine gehobene Sphäre abbiegt, kann
Darts
werfen, weiter hinten Karten spielen, Whist und Bridge, auch Boston und Poker. Ganz hinten aber führt eine bewachte Tür zum Kasino; da dreht sich das Roulette bis zum Krähen des Hahns. Und da Green selbst die Bank ist, die – wie er gerne einräumt – immer gewinnt, leistet er sich, seine Vorderräume der Kultur vorzubehalten. Jenseits des zentralen Tresens, hinter dem George, ein begnadeter Barmann, seine Zaubertränke mischt, beginnt das Reich gehobenen Zeitvertreibs. Hier gibt es ein Lesezimmer, wo neben
Observer
,
Times
oder
Spectator
auch Druckerzeugnisse wie
Cobbett’s Political Register
ausliegen und, dank des Friedens von Amiens, sogar
Moniteur
und
Globe.
Hier sieht man russische Offiziere in Journale vertieft, die ihnen zu Hause die Zensur verbietet, und natürlich werden sie auch hier beobachtet. Es gibt keine Bibliothek, aber ein Schreibzimmer, und für das Versenden privater Post steht ein eigener Botendienst zur Verfügung.
    Doch vor allem gibt es den
Foreign Correspondents’ Club
, das Einhornzimmer mit der Bildergalerie. Sie regt auch andere kunstfreundliche Offiziere an; so ist Fjodor Moor regelmäßig in der Nähe des Troja-Kamins anzutreffen, wo er sich, den Feuerschein nützend, eine Ecke zum Zeichnen eingerichtet hat und an einer Staffelei mit Stift und Kreide zugange ist, außer Hör- und Reichweite seiner Kollegen; er läßt sich von keinem ins Blatt blicken.
    Ein regelmäßiger Gast ist auch Chlebnikow, der allerdings bald wieder durch die schwarze Tür im Hintergrund verschwindet. Golownin allein weiß, daß er nicht bloß um sein Glück spielt, sondern um sein Leben. Denn Nikolai Chlebnikow ist, wenn er damals in der Wärmkammer nicht ganz irre geredet hat, ein natürlicher Sohn Pauls I., also ein Romanow, und ein Jahr älter als Alexander, der regierende Zar.
    Golownin erinnert sich ungern an die schreckliche Nacht, als er vor Mitternacht in die Wärmkammer ging, um Horaz zu lesen, füreinmal ohne Rikord, der mit einem Nervenfieber im Krankenzimmer lag. Zu seinem Erstaunen fand er den kleinen Ofenraum schon belegt, und es wurde zum Entsetzen, als Chlebnikow, auf den er stieß, kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Aber als er ihn anfaßte, richtete er sich heftig auf und drückte ihm ein Messer in der Hand, mit der rauhen Bitte, ihn totzustechen; selbst schaffe er es nicht, er könne sowenig sterben wie leben. Als ihn Golownin, ein wenig angewidert, umarmte, brach, mit einem Weinkrampf, seine ganze Geschichte aus ihm heraus. Danach war Kolja das natürliche Kind Pawel Romanows, das der unselige Nachfolger Katharinas der Großen als ewiger Zarewitsch auf Schloß Gattschina, das sie ihm zum Zeitvertreib überlassen hatte mit einem Kammermädchen gezeugt hatte; denn auch seine Gattin, eine Deutsche, war ein Geschöpf Katharinas und im Bett ihres Sohnes nie warm geworden. Natürlich war die uneheliche Schwangerschaft darum nicht minder unmöglich, und die Zofe wurde eilends mit einem Schiffszimmermann verheiratet, der das Schweigegeld nahm und schnell versoff, ohne sich seine Geringschätzung für die verworfene Mutter abkaufen zu lassen. Sie starb denn auch im nächsten Kindbett, und der natürliche Sohn, erst fünf Jahre alt, war mit einem ewig betrunkenen Stiefvater allein und wäre umgekommen, wenn er nicht wunderbare Hilfe erfahren hätte. Eine unsichtbare Hand beförderte ihn in ein kirchliches Waisenhaus, später in die Klosterschule, mit zehn Jahren ans Akademische Gymnasium und schließlich ans Topographische Institut, das der Siebzehnjährige als ausgebildeter Landvermesser verließ. Danach stand seiner Ausbildung zum Marinekadetten nichts mehr im
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