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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern
Autoren: Adolf Muschg
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Green im freien Fall
schlagartig
widerfahre. Seinen Jüngern bleibe gerade Zeit, ihn zur Höhle von
Steenfoll
zu tragen. Damit habe es Eile, denn wenn bei der Ankunft seine Größe auf Null geschrumpft wäre, könnte er ganz aus dem Leben getreten sein, und es würde sich nicht mehr lohnen, ihn in die Tiefe zu werfen. Zum Glück werde in der Schöpfung so schnell nichts zu nichts. Ideal sei die Größe eines Käfers.
    Was ist die Höhle von
Steenfoll
? fragte Rikord.
    Wir wissen nur, wo sie liegt,
Sir
. Von oben ist es ein Kraterloch in der Küste, an einer Stelle, wo sie vom Meer unterspült wird. So wurde ein Durchbruch geschaffen, der bei Ebbe wie eine Höhle erscheint; bei Flut fließt das Wasser ein, bei Ebbe wieder aus. Die Höhle ist das Herz der Erde, und Green muß hineingestürzt sein, um sie als Himmelskörper zu erfahren; wie das zugehen soll, weiß er allein. Darüber kann er nicht sprechen, er wird ja ein Insekt, aber er kann ganz unverhofft wieder im Hause sein. Denn zur Rückkehr in die Menschengestalt benötigt er keine Hilfe, und zu derjenigen in sein Haus fast keine Zeit.
    Aber jetzt ist er nicht da.
    Das weiß man nicht. Vielleicht ist er schon wieder mitten unter uns.
    Erzählt man solche Geschichten auf Nukahiwa? fragte Rikord.
    Sie erzählen
uns,
Sir.
    Und wer sind die Herren an der Bar? fragte er.
    Chwostow und Dawydow, flüsterte George. – Sie sind aus Erde gemacht und müssen wieder zu Erde werden.
    Wer nicht? fragte Rikord verständnislos.
    Der Dawydow Genannte seufzte tief auf wie ein Kind, und die Wimpern seiner großen Lider zuckten. Chwostows Kopf war inzwischenauf die Reling gesunken und schien gebannt ins Wasser zu starren.
    Als sich der Barmann entfernt hatte, fragte er Golownin: Was hältst du von der Geschichte?
    Welcher Geschichte? fragte Golownin, mit erneutem Anzünden der Pfeife beschäftigt, entschuldige, ich war gerade ein wenig abwesend. Ich dachte an Gylinki, wo ich herkomme.
    Ein lauter Lärm kam Rikords nächster Frage zuvor. Denn wohl ein Dutzend Offiziere stürmten den Saal; sie hatten ihr Spiel unterbrochen und drängten an die Bar. Chwostow war unwillig, Raum zu geben, aber sein Freund, der wieder auf den Füßen stand, zog ihn weg. Chlebnikow bestellte eine Runde Champagner für alle. Aus Zurufen ließ sich erraten: er hatte so unverschämt gewonnen, daß er die Verlierer freihalten mußte. Man trank auf sein Glück; er hob das Glas auf das Wohl Englands, dann wollte auf dasjenige Rußlands getrunken werden und aller Herren Länder, die im
Unicorn
vertreten waren. Auch auf Frankreich, auf Bonaparte?
By Jove, NO!
Auf den Antichrist trinken wir, wenn wir ihn zur Hölle geschickt haben!
    An ruhige Unterhaltung war nicht mehr zu denken. Moor begann, seine Staffelei abzubauen; auch der junge Mann im Flickenkostüm schloß sein Buch. Das Männerpaar hatte sich auf einer Fensterbank niedergelassen. Doch jetzt stand Chwostow auf und begann so laut zu reden, daß sich die Gesellschaft umwandte, maulend zuerst, dann widerwillig gebannt.
    By Jove
, habe ich gehört. Ich höre Jupiter, und was sage ich? Ganymed. Ich höre Achill, und was sage ich: Patroklos. Ich höre Alexander, sage nur: Kleitos, und weine bittere Tränen. Harmodios und Aristogeiton: das Ende des Tyrannen. Pelopidas und Epaminondas: die heilige Schar, zu spät! Sage ich zuviel, Dawydow?
    Sie verstehen dich wohl nicht ganz, erwiderte dieser mit mattem Lächeln.
    Sie hören nicht, sie sehen nicht, kommt dir das bekannt vor, mein Herz?
    Es lebe Rußland! schrie Chlebnikow.
    Jawohl, Freund, es lebe. Aber wie lebt es denn, Mütterchen Rußland? Muß um warmes Wasser betteln, um seine kranken Glieder zu baden – ist das ein Leben?
    Warmes Wasser für warme Brüder! schrie Chlebnikow.
    Aha! erwiderte Chwostow. – Und ihr seid Männer, ganze Männer. Dann frage ich euch: warum laßt ihr Mütterchen frieren? Tragt sie an den Großen Ozean, der hat die richtige Temperatur! Das ist eine Badewanne wie ein Taufbecken, und wem gehört sie? Nur dem, der sie sich nimmt! Und ich kenne einen, der ist dafür gerade Manns genug. Nikolai – Petrowitsch – Resanow! Ist das ein Wort? Der trägt Mütterchen auf Händen in die Badewanne wie zum Tanz und vögelt sie darin!
Ochotsk! Bolscherezk! Petropawlowsk! Kodiak! Nunalaska! Nowarchangel!
Hat er genug? Jetzt fängt er erst richtig an:
Fort Ross! San Francisco! Santa Barbara!
Darf’s noch etwas mehr sein?
Hawaii! Otaheiti! Nukahiwa!
Und jetzt kommt das Beste:
Japan
, meine
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