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Lobgesang

Titel: Lobgesang
Autoren: Ken Scholes
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war um eines Jungen willen hergekommen – um Nebios ben Hebda zu sehen, den Heimatsucher.
    Schneefälle hatten ihre Reise in die Neun Wälder verlangsamt. Ihr Gefolge war am Morgen eingetroffen und still, aber in aller Öffentlichkeit willkommen geheißen worden, und Hanric, ihr Schatten, hatte die Förmlichkeiten mit ruppiger Ergebenheit hinter sich gebracht. Die Benannten Lande sahen einen riesigen Barbaren mit einer gewaltigen Axt, in dessen langen Bart und wirres Haar Holz- und Knochenstücke geflochten waren. Das war es, was die Sumpfleute die Benannten Lande sehen lassen mussten, damit sie sich weiterhin vor ihnen fürchteten. Nach dem öffentlichen Empfang hatte Winters ein paar Stunden damit verbracht, sich an einem ruhigen Ort mit Rudolfo zu unterhalten und über die Unruhen im Delta und an anderen Orten der Benannten Lande zu sprechen. Dann hatte sie mit den anderen Bediensteten gegessen und sich anschließend auf die Suche nach Neb gemacht. Rudolfo und Neb waren die Einzigen, die außerhalb ihres Volkes die Wahrheit über sie kannten. Die Übrigen glaubten an das Bild, das die Sümpfler ihnen vorlebten, und Wenige kamen ihnen so nahe, dass sie mehr herausfanden. Das Sumpfvolk blieb unter sich, und seinen Nachbarn war es so am liebsten. Es gab eine Redensart, allerdings wusste Winters nicht, ob sie heute noch gebräuchlich war: So willkommen wie ein Sümpfler auf einer Hochzeit. Zweitausend Jahre lang hatten sie sich im Norden niedergekauert, in einem Land, das sie sich nicht ausgesucht hatten. Sie
hatten sich geduldet und auf die Zeit gewartet, die zum Ende ihres Kummers in den Benannten Landen führen würde.
    Wie Rudolfos Sippe waren auch die Sümpfler vor den anderen Siedlern angekommen und hatten sich ihre Ländereien sorgfältig ausgewählt. Und wie die Waldbewohner standen sie durch ihr andersartiges Verhältnis zu den gefallenen Hexenkönigen stets unter Verdacht und galten als Außenseiter. Aber anders als Rudolfos Zigeunern war es den Sümpflern nicht gelungen, ihre Länder zu halten, und der junge Orden der Androfranziner hatte sie weiter in den Norden getrieben, in die Sümpfe und das Buschland am Fuß des Drachenrückens, damit die kriegerischen Gelehrten und Archäologen ihre zweite Festung in der Neuen Welt dort an den Ufern des Zweiten Flusses errichten konnten.
    Die Benannten Lande waren sicherer, wenn das Sumpfvolk im Zaum gehalten wurde, so wollte es der Papst Windwir – der Dichter, dessen Name Jahre später auf die Festung der Androfranziner übergehen sollte –, als die Bibliothek noch jung war und der Orden sich langsam etablierte. Immerhin, so folgerten die Beschützer des Lichts, waren die Sümpfler das, was der Sippe von Xhum Y’Zir und seinen sieben Söhnen, den Hexenkönigen der Alten Welt, am nächsten kam. Es war auch nicht gerade förderlich, dass die Merkmale des Zeitalters des Lachenden Wahnsinns niemals ganz aus ihrem Volk getilgt worden waren, obwohl es die Mahlenden Ödlande schon so lange verlassen hatte.
    Winters war dies natürlich bewusst. In der langen Geschichte ihres Volkes war sie die erste Königin – und die Erste, die so etwas wie eine androfranzinische Erziehung erhalten hatte. Ihr Volk bedeckte sich mit der Asche und dem Schlamm des Landes, um sich an seinen Kummer zu erinnern, es empfing Aberglauben und Mystizismus mit offenen Armen, zog Orakel und Zungenrede dem sogenannten androfranzinischen Licht vor; während Kriegszeiten predigten seine Könige ihre Träume zu den Benannten
Landen, und innerhalb gewisser Grenzen wendeten sie nach wie vor die alchemistische Blutmagie an.
    Sie waren von anderer Art, das erkannte Winters, und ihr begrenztes Geschichtsverständnis – sowohl der Neuen Welt als auch der Alten – sagte ihr, dass es einem nicht immer zugutekam, anders zu sein, außer man war stärker als jene Völker, die als die Norm galten. Also warteten sie, im Norden verborgen, und ritten nur aus, um die Grenzstädte zu überfallen. Sie hielten mit niemandem Bundschaft, und zeitweise führten sie sogar Kriege, ganz wie es die Träume verlangten, die sie leiteten.
    Aber im letzten Jahr, nach Windwirs Fall und nachdem endlich der Krieg, um den sie so lange gebetet und nach dem sie sich so lange gesehnt hatten, dort auf den knochenübersäten Ebenen vor der gefallenen Stadt ausgebrochen war, hatte sich alles verändert. Winters hatte ihr Heer aus dem Norden herabgeführt, während Hanric als ihr Schatten weiterhin ihre Amtsaxt trug. Sie hatte die
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