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Lobgesang

Titel: Lobgesang
Autoren: Ken Scholes
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Androfranziner. Er hatte Neb sogar die Erlaubnis verschafft, im fernen Osten der Alten Welt an einer Grabung teilzunehmen. Eines Morgens hatten sie den Karren beladen und sich auf genau jene Straße begeben – die Whymerische Straße –, die über den Hüterwall am Weitschreiterposten vorbei in die Mahlenden Ödlande dahinter führte. Und am selben Nachmittag hatte sich Neb allein auf der Welt wiedergefunden und mit angesehen, wie die einzige Heimat und die einzige Familie, die er je gekannt hatte, von Feuern und Blitzen verzehrt wurde.

    Er dachte an Rudolfo, an Aedric und zum Schluss an Winters. Ich habe jetzt eine neue Familie. Und irgendwo in der Zukunft, dachte er, gab es auch eine neue Heimat, wenn die Träume von Winters und den Sumpfkönigen vor ihr die Wahrheit sprachen.
    Neb zwang sich zu einem Lächeln. »Es wird eine schöne Nacht werden«, sagte er. Mit einem Nicken ging Aedric zur Tür, und Neb folgte ihm.
    Vielleicht würde er seinen Tag mit Winters nicht bekommen, aber womöglich, dachte er, hatte ihm die restliche Nacht ja noch etwas zu bieten. Die Residenz war voller Geheimgänge – er hatte sein Wissen über Architektur und die strategische Anlage von Gebäuden genutzt, um die meisten davon aufzuspüren, nachdem er zufällig über den ersten gestolpert war. Vielleicht würde er sich, wenn die Feier zu Ende ging, davonstehlen und ein paar ruhige Stunden mit Winters verbringen, ehe er zum Hüterwall aufbrach.
    Vielleicht.
    Beim Gedanken daran wurde er wieder rot, und Neb hoffte, dass es Aedric nicht auffiel.
    Wenn doch, ließ der Erste Hauptmann der Zigeunerspäher es sich nicht anmerken. Stattdessen lachte er und klatschte zum Takt der Musik, die von unten heraufdrang, während er etwas schwerfällig einen Tanz improvisierte und den Korridor zum großen, weitläufigen Treppenhaus entlanghüpfte.
    Unaufgefordert fing auch Neb zu tanzen an und fragte sich, was ihm die Nacht bringen würde.
    Petronus
    Petronus warf einen Blick aus dem Fenster seiner Hütte, ehe er ein weiteres Scheit aufs Feuer legte und an seinen überfüllten
Schreibtisch zurückkehrte. Er konnte das Gefühl nicht ganz einordnen, das ihn immer wieder aus dem Fenster blicken ließ, aber in seiner Seele spürte er eine Unruhe – eine Ahnung, dass ihm eine Abrechnung bevorstand.
    Ich habe eine Abrechnung verdient, dachte er.
    Er war der Sohn eines Fischers, hatte aber den Ruf zu den Androfranzinern verspürt und sich dem Orden angeschlossen, um das Licht zu erhalten und zu schützen. Er hatte wie jeder andere als Akolyth begonnen und war durch die Ränge aufgestiegen, um zum jüngsten Papst des Ordens zu werden. Dann, nach einer schmerzlich kurzen Amtszeit, hatte er den Orden verlassen, weil er geglaubt hatte, sein Leben würde sich sonst in eine Lüge verwandeln. Er hatte mit Hilfe eines willigen Nachfolgers seine eigene Ermordung inszeniert und war zu seinen Netzen und seinem Boot in die stillen Gewässer von Caldusbucht zurückgekehrt. Und je länger seine Abkehr vom Orden gewährt hatte, desto größer war in ihm die Überzeugung geworden, dass der rückwärtsgewandte Traum der Androfranziner der Neuen Welt nicht mehr dienlich war.
    Aber dann war der Tag gekommen, an dem er am nördlichen Himmel Windwirs Scheiterhaufen gesehen hatte. Sie hatten allen Warnungen zum Trotz den Bannspruch von Xhum Y’Zir zurückgeholt, und es war ihr Untergang gewesen, hatte die größte Stadt der Welt in eine Verheerung aus Asche und Knochen verwandelt.
    Ich habe eine Abrechnung verdient.
    Er blickte zurück auf seinen Schreibtisch. Er quoll über von Papier, genauso wie jede andere ebene Fläche seiner nur aus einem Raum bestehenden Hütte. Überflutet von Notizen und Karten und Pergamentfetzen.
    Inmitten alldessen, auf seinem Schreibtisch, lag der Lederbeutel, den Petronus an dem Tag von Sethberts Hinrichtung von Vlad Li Tam erhalten hatte. Mit demselben Messer, mit dem er
schon zehntausende von Lachsen ausgenommen hatte, hatte er vor ihrer aller Augen Sethbert die Kehle durchgeschnitten, in einem endgültigen Akt, der ihn als Papst untauglich gemacht und den Orden aufgelöst hatte. Er hatte zuvor bereits von der päpstlichen Sanktion Gebrauch gemacht, um den weitläufigen Besitz und die Reichtümer des Ordens in die Hände der Neun Häuser der Neun Wälder zu übergeben. Rudolfo würde die Bibliothek wieder aufbauen und zum Schutzherrn des Lichts werden.
    Er griff in den offenen Beutel und zog die Blätter heraus. In den letzten sieben Monaten
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