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Lobgesang

Titel: Lobgesang
Autoren: Ken Scholes
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den Schiffsverkehr so gering wie möglich zu halten. Von Zeit zu Zeit hatten sie sogar das Haus Li Tam aufgefordert, ihrer Kontrolle über die Seefahrt Geltung zu verschaffen. Und weil sie den Schiffsbauern der Tam die Baupläne für jene Eisenschiffe überlassen hatten, war Vlad Li Tam äußerst bestrebt gewesen, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Ehe sie sich vor fünf Jahrhunderten dem Bankwesen zugewandt hatten, waren die Tam die größten Schiffsbauer der Benannten Lande gewesen, und es hatte sie vor keine große Herausforderung gestellt, die Schiffe nach den Vorgaben von Rufellos restaurierten Skizzen zu bauen. Viel schwerer war es gewesen, den Schiffen einen Antrieb zu geben, doch das hatten die Androfranziner mit ihrem Erzmaschinisten Charles übernommen – unter dem Schleier der Geheimhaltung, den die Tam als Teil ihrer geheimen Bundschaft mit dem Orden respektierten. Die Antriebsgehäuse waren wie gewaltige Rufello-Kassetten, deren Zahlenschlüssel zusammen mit Windwirs Großer Bibliothek dem Bannspruch von Xhum Y’Zir zum Opfer gefallen waren. Es war allerdings kein großer Gedankenschritt, davon auszugehen, dass dieselben Sonnensteine, die die Mechoservitoren mit Antriebskraft versorgten, auch die Dampfmaschinen von Vlad Li Tams Flotte antrieben.
    Vlad Li Tam hörte Schritte hinter sich und wandte sich langsam um, obwohl er sich durchaus bewusst war, dass er sich noch immer nicht angekleidet hatte. Der Häuptling des Dorfes näherte sich mit etlichen Begleitern, darunter auch das Mädchen. Sie lächelte noch immer.

    »Hallo, mein Freund!«, rief der Häuptling ihm mit lauter Stimme zu. Auch er lächelte.
    Vlad Li Tam erwiderte das Lächeln. »Hallo, Tagesvater Ulno Shalon.« Vlad sprach ihn mit diesem Titel an, um auf die Bundschaft hinzuweisen. Sie unterhielten sich in einer alten Variante des Unterländischen, das mit einer ganzen Handvoll von Dialekten aus den Benannten Landen vermischt war, die sich aus den Sprachen der Alten Welt entwickelt hatten. Die Menschen der Geteilten Inseln und der anderen Eilande, die nahe genug an den Benannten Landen lagen, um auf Karten verzeichnet zu sein, sprachen einen leicht verständlichen Dialekt. Aber je weiter sie vordrangen, desto weniger dienlich waren ihnen die üblichen Sprachen. Hier und da gab es zwar ein paar eingestreute Worte, aber das war auch schon alles.
    Schließlich hatte Tam seine Kinder auf die Sache angesetzt, hatte sie mit den Inselkindern losziehen und seine ältesten Söhne und Töchter in der Nähe Stellung beziehen lassen, damit sie Wörterlisten anfertigen konnten. Auf den ersten beiden Inseln hatten sie genug erfahren, um sich in diesem Archipel mit den Einheimischen unterhalten zu können. Und bei jedem Halt ließ Tam seine Kinder abermals ausschwärmen, nachdem die Bundschaft geschlossen war.
    Der Häuptling war ein kleiner, plumper Mann mit einer zerlumpten Kappe – der Kopfbedeckung eines Offiziers der entrolusischen Flusswache, wie Vlad Li Tam erkannte. Abgesehen davon trug er keine nennenswerte Kleidung, nur einen Streifen ausgebleichten Stoffs, den er sich um die Hüfte geschlungen hatte. Knochenstücke und Federn zierten die Kappe, und sein Grinsen wurde breiter, während er Vlad Li Tam mit offenen Armen entgegenging.
    »Ich schätze, meine« – hier benutzte er einen Begriff, den Vlad Li Tam nicht kannte – »hat ihre Pflicht dem Stamm gegenüber auf zufriedenstellende Weise erfüllt?«

    Vlad Li Tam nickte und zwinkerte dabei dem Mädchen zu, das ihn im Rücken ihres Onkels anlächelte. »Ja, Tagesvater. Sie war mehr als zufriedenstellend.«
    »Ich hoffe auf einen starken Sohn«, sagte der Häuptling, »dessen Hände uns bei unserer Arbeit unterstützen können.«
    Vlad Li Tam berührte seine Stirn und anschließend die Brust. »Und ich hoffe auf eine hübsche Tochter«, gab er zurück, wie es dem Brauch entsprach, »die die Herzen deines Volkes mit Licht erfüllt.«
    Der Häuptling nickte zufrieden. »Dein Stamm hält nun Bundschaft mit meinem. Heute werden wir diese Vereinigung feiern, und von diesem Tag an werdet ihr bei uns einen sicheren Hafen finden.«
    Vlad Li Tam lächelte. Der Preis, den er für das Vertrauen dieser Leute und das Recht, sich frei unter ihnen zu bewegen, hatte bezahlen müssen, war gering gewesen. Natürlich gab es da noch das Mädchen. Obwohl es nicht erforderlich war, war es sicher üblich, dass er weitere Versuche unternahm, bis der Samen auf fruchtbaren Boden fiel, und wenn er von der
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