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Lob der Stiefmutter

Lob der Stiefmutter

Titel: Lob der Stiefmutter
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Ende zu machen und endlich zu heiraten. ›Das wird niemals gutgehen. Dieses Kind wird dich immer hassen, es wird dir das Leben zur Hölle machen, und früher oder später wirst du es ebenfalls hassen. Wann ist je ein Paar glücklich geworden mit fremden Kindern?‹ Nichts dergleichen war geschehen. Alfonsito betete sie an. Ja, das war das richtige Wort. Vielleicht sogar zu sehr. Doña Lukrezia rekelte sich wieder unter den lauen Laken, streckte sich und rollte sich zusammen wie eine träge Schlange. War er nicht ihretwegen Klassenbester geworden? Sie erinnerte sich an sein kleines rosiges Gesicht, an den Triumph in seinen himmelblauen Augen, als er ihr das Notenheft gereicht hatte:
    »Hier ist dein Geburtstagsgeschenk, Stiefmutter. Darf ich dir einen Kuß geben?«
    »Aber natürlich, Fonchito. Du darfst mir zehn geben.«
    Die ganze Zeit wollte er sie küssen und von ihr geküßtwerden, mit einem Überschwang, der sie bisweilen argwöhnisch machte. Liebte das Kind sie wirklich so sehr? Ja, sie hatte es gewonnen durch die Geschenke und Verhätschelungen, mit denen sie es seit ihrem Eintritt in dieses Haus überhäufte. Oder war es vielleicht so, wie Rigoberto phantasierte, um sein nächtliches Verlangen zu schüren, daß Alfonsito langsam zum sexuellen Leben erwachte und die Umstände ihr die Rolle der Anregerin zugedacht hatten? »Was für ein Unsinn, Rigoberto. Er ist doch noch so klein, er hat gerade seine Erstkommunion hinter sich. Was für absurde Ideen du doch manchmal hast.«

    Aber wenn sie allein war wie jetzt, fragte sich Doña Lukrezia – obwohl sie es niemals offen und am allerwenigsten vor ihrem Mann zugegeben hätte –, ob das Kind nicht tatsächlich dabei war, das Begehren, die keimende Poesie des Körpers zu entdecken, und sie als Stimulans benutzte. Alfonsitos Gebaren irritierte sie, es schien so unschuldig und zweideutig zugleich. In diesem Augenblick erinnerte sie sich – es war eine Begebenheit aus ihrer Jugendzeit, die sie nie vergessen hatte – an das zufällige Muster, das die grazilen Füße einer Möwe vor ihren Augen in den Sand des Regatta-Klubs gezeichnet hatten; sie war näher getreten, um es zu betrachten, in der Erwartung, eine abstrakte Form vorzufinden, ein Labyrinth aus geraden und krummen Linien, und was sie erblickte, wirkte auf sie eher wie ein krummer Phallus! War Fonchito sich bewußt, daß er, wenn er ihr die Armeum den Hals schlang, wie er es tat, wenn er sie auf diese hingebungsvolle Weise küßte und ihre Lippen suchte, die Grenzen des Zulässigen überschritt? Wer sollte das wissen. Das Kind hatte einen so freimütigen und sanften Blick, daß Doña Lukrezia unmöglich glauben konnte, das kleine rotblonde Köpfchen dieses Engels, der bei den lebenden Krippen der Santa-Maria-Schule als kleiner Hirte posierte, könne schmutzige, schlüpfrige Gedanken beherbergen.
    »Schmutzige Gedanken«, flüsterte sie, den Mund an das Kissen gepreßt, »schlüpfrige Gedanken. Hahaha!« Sie fühlte sich gutgelaunt, und eine köstliche, milde Wärme durchströmte ihre Adern, als hätte ihr Blut sich in lauen Wein gewandelt. Nein, Fonchito konnte nicht ahnen, daß das ein Spiel mit dem Feuer war, diese überströmenden Gefühle gab ihm gewiß ein dunkler Instinkt ein, ein unbewußter Tropismus. Aber deshalb waren diese Spiele nicht weniger gefährlich, nicht wahr, Lukrezia? Denn wenn er so klein vor ihr auf dem Boden kniete und sie betrachtete, als wäre seine Stiefmutter soeben aus dem Paradies herabgestiegen, oder wenn seine kleinen Arme und sein zerbrechlicher Körper sich an sie schmiegten und seine schmalen, fast unsichtbaren Lippen auf ihren Wangen lagen und ihren Mund streiften – sie hatte sie niemals länger als eine Sekunde dort verweilen lassen –, dann konnte Doña Lukrezia bisweilen nicht verhindern, daß Erregung in ihr aufwallte, ein Anflug von Verlangen sie erfaßte. »Du bist die mit den schmutzigenund schlüpfrigen Gedanken, Lukrezia«, murmelte sie, gegen die Matratze gepreßt, ohne die Augen zu öffnen. Würde sie eines Tages eine lüsterne Alte werden wie einige ihrer Bridge-Partnerinnen? War dies vielleicht der Mittagsdämon? Beruhige dich, denk daran, daß du jetzt zwei Tage lang Strohwitwe bist – Rigoberto war in Versicherungsangelegenheiten auf Geschäftsreise und würde erst am Sonntag zurückkehren –, und außerdem: genug im Bett geaalt. Steh auf, du Faulenzerin. Mit einer kleinen Anstrengung schüttelte sie die angenehme Schläfrigkeit ab, schaltete die
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