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Lob der Stiefmutter

Lob der Stiefmutter

Titel: Lob der Stiefmutter
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Gegensprechanlage ein und wies Justiniana an, ihr das Frühstück heraufzubringen.
    Fünf Minuten später trat das Mädchen mit dem Tablett, der Post und den Zeitungen ins Zimmer. Sie zog die Vorhänge auf, und das feuchte, trübselige und graue Septemberlicht Limas drang in den Raum. ›Wie häßlich der Winter ist‹, dachte Doña Lukrezia. Sie träumte schon von der Sonne des Sommers, den glühendheißen Sandstränden von Paracas und der salzigen Liebkosung des Meeres auf ihrer Haut. Bis dahin war noch so lange hin! Justiniana setzte ihr das Tablett auf die Knie und rückte ihr die Kopfkissen zurecht, damit sie sich anlehnen konnte. Sie war braunhäutig und schlank, hatte krauses Haar, lebhafte Augen und eine musikalische Stimme.
    »Da ist was, aber ich weiß nicht, ob ich es Ihnen sagen soll, Señora«, flüsterte sie mit tragikomischer Miene, während sie ihr den Morgenmantel reichte und die Pantoffeln vor das Bett stellte.
    »Jetzt hast du mich neugierig gemacht, jetzt mußt du es mir sagen«, erwiderte Doña Lukrezia, während sie in eine Scheibe Toastbrot biß und einen Schluck Tee nahm. »Was ist passiert?«
    »Ich schäme mich, Señora.«
    Doña Lukrezia betrachtete sie amüsiert. Sie war jung, und unter der blauen Schürze der Uniform zeichneten sich frisch und elastisch die Formen ihres kleinen Körpers ab. Was für ein Gesicht sie wohl machte, wenn ihr Mann mit ihr schlief? Sie war mit dem Pförtner eines Restaurants verheiratet, einem großen, athletischen Neger, der sie jeden Morgen zur Arbeit begleitete. Doña Lukrezia hatte ihr geraten, sich in ihrem jungen Alter das Leben nicht durch Kinder zu komplizieren, und sie persönlich zu ihrem Arzt gebracht, damit er ihr die Pille verschriebe.
    »Schon wieder ein Streit zwischen der Köchin und Saturnino?«
    »Es hat eher mit dem jungen Herrn Alfonso zu tun.« Justiniana senkte die Stimme, als könnte der Junge sie hören in seiner fernen Schule, und tat verwirrter, als sie war. »Gestern abend habe ich ihn erwischt … Aber Sie dürfen ihm nichts sagen, Señora. Wenn Fonchito erfährt, daß ich es Ihnen erzählt habe, bringt er mich um.«
    Doña Lukrezia amüsierten die Mätzchen und Faxen, mit denen Justiniana immer alles ausschmückte, was sie erzählte.
    »Wo hast du ihn erwischt? Was hat er getan?«
    »Er hat Ihnen hinterherspioniert, Señora.«
    Eine Ahnung sagte Doña Lukrezia, was sie hören würde; sie war auf der Hut. Justiniana wies auf das Dach des Badezimmers, und jetzt schien sie wirklich verwirrt.
    »Er hätte in den Garten fallen und sich den Hals brechen können«, flüsterte sie und verdrehte die Augen in ihren Höhlen. »Deshalb erzähle ich es Ihnen, Señora. Als ich ihn ausschimpfte, hat er mir gesagt, es sei nicht das erste Mal gewesen. Er wäre schon oft aufs Dach gestiegen. Um Sie zu beobachten.«
    »Was sagst du da!«
    »Genau das«, antwortete das Kind herausfordernd, fast heldenmütig. »Und ich werde es weiter tun, auch wenn ich ausrutsche und mir den Hals breche, damit du es nur weißt.«
    »Du bist wohl verrückt geworden, Fonchito. Das ist sehr schlecht, so was tut man nicht. Was würde Don Rigoberto sagen, wenn er wüßte, daß du deine Stiefmutter beim Baden beobachtest. Er würde böse werden, er würde dir eine Tracht Prügel verabreichen. Und außerdem kannst du dir den Hals brechen, vergiß nicht, wie hoch das ist.«
    »Das ist mir egal«, antwortete das Kind mit einer Entschlossenheit, die in den Augen blitzte. Aber dann beruhigte es sich rasch wieder, zuckte die Schultern und fügte bescheiden hinzu: »Auch wenn mein Papa mich schlägt, Justita. Wirst du mich verraten?«
    »Ich werde ihm nichts sagen, wenn du mir versprichst, nie wieder da hinaufzusteigen.«
    »Das kann ich dir nicht versprechen, Justita«, rief das Kind bekümmert aus. »Ich verspreche nicht, was ich nicht halten kann.«
    »Erfindest du das alles nicht vielleicht mit deiner tropischen Phantasie?« stotterte Doña Lukrezia. Sollte sie lachen, ärgerlich werden?
    »Ich habe lange überlegt, bevor ich den Mut gefunden habe, es Ihnen zu erzählen, Señora. Fonchito ist ja so lieb, und ich hab ihn so gern. Aber wenn er auf dieses Dach hinaufklettert, kann er sich den Hals brechen, das schwör ich Ihnen.«
    Doña Lukrezia versuchte vergeblich, ihn sich dort oben vorzustellen, niedergeduckt wie ein kleines Tier, um sie zu belauern.
    »Aber … aber, ich kann es nicht glauben. Er ist so artig, so wohlerzogen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er so etwas
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