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Lob der Faulheit

Lob der Faulheit

Titel: Lob der Faulheit
Autoren: Thomas Hohensee
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ihnen die Zeit. Ihre Aktenberge türmen sich ohnehin schon meterhoch auf. Mühe und Arbeit können nicht die wichtigsten Kriterien richterlicher Rechtsfindung sein. Anders wäre es, wenn die Anstrengung zu mehr Gerechtigkeit führen würde. Dafür gibt es jedoch keinerlei Beweis.

    Das Ende des Krisenmanagements
    Als Konrad Adenauer 1949 Bundeskanzler wurde, war er 73 Jahre alt. Mit 87 Jahren hörte er auf, blieb aber bis zu seinem Tod im Alter von 91 Jahren Bundestagsabgeordneter. Damit ist er der bisher älteste Parlamentarier. Es heißt, dass er seinen Nachfolger Kiesinger noch vom Sterbebett aus mit Ratschlägen unterstützte.
     
    Szenenwechsel. Am 25. August 2010 gab der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust nach knapp acht Jahren sein Amt auf. Zu diesem Zeitpunkt war er 55 Jahre alt. Von Beust zog sich vollständig aus der Politik zurück. Nach der Ankündigung seines Rücktritts sagte er, dass er sich verbraucht fühle: »Man ist einfach schneller durchgenudelt, als das vor 20 Jahren der Fall war.« Für ihn gelte: »32 Jahre Landespolitik, davon 17 hauptberuflich  – das ist genug.«
     
    Es geht mir hier nicht um die Person Ole von Beusts, sondern um das Phänomen, dass PolitikerInnen sich heute in einem Alter verbraucht fühlen und erschöpft aufgeben, als Adenauer noch fast 20 Jahre von seinem Amtsbeginn entfernt war. Wie ist das möglich?
     
    An der Zeit kann es nicht liegen. Nach dem Krieg waren ernstere Probleme zu lösen als heute, so schwierig manches im Augenblick auch erscheinen mag. Ebenso wird niemand ernsthaft bestreiten wollen, dass das Amt des Bundeskanzlers größere Herausforderungen mit sich bringt als das eines Bürgermeisters. Trotzdem vermochte ein 87-Jähriger vor 50 Jahren offenbar mehr zu leisten als ein 55-Jähriger heute. Wie kann das sein?

     
    Könnte es daran liegen, dass Adenauer zu den positiv Faulen gehörte? Dass er als rheinische Natur – Adenauer war Kölner – eine Abneigung gegen Preußen hegte, ist bekannt. Daher lag ihm Bonn nicht nur geographisch stets näher als Berlin. Er liebte Rosen, Italien und das Boccia-Spiel. Stellen Sie sich das bitte vor: ein Bundeskanzler, der sowohl in seinem Garten in Rhöndorf als auch im Park seines Amtssitzes, dem Palais Schaumburg in Bonn, eine Boccia-Bahn bauen ließ! Ein Mensch, der sich die Zeit nahm, seine Arbeit für eine gute Partie Boccia zu unterbrechen. Ein Mann, der nie aufhörte zu spielen.

     
    Sein südländisch anmutender Garten bewies mit seiner Vielfalt an Pflanzen, Plastiken und Brunnen Adenauers Sinn für die schönen Seiten des Lebens. Seinen Urlaub verbrachte er regelmäßig in Italien, in Cadenabbia am Comer See. Die dortige Villa La Collina war seine Sommerresidenz. Das Palais Schaumburg in Bonn, das er als Bundeskanzleramt nutzte, ist ein schlossähnliches Gebäude mit weitläufigem Park direkt am Rhein. Auf Adenauers Wunsch wurde dort 1955 zusätzlich das sogenannte Kanzler-Teehaus gebaut, ein kleiner Pavillon, der es ihm erlaubte, sich ins Grüne zurückzuziehen, wenn er sich ausruhen wollte. Die Terrasse bietet einen schönen Blick auf den Rhein.
     
    Hört sich das für Sie nach harter Arbeit an? Rosen, Boccia, Gärten, Teehaus? Trotzdem ist die Lebensleistung Adenauers unbestritten. Könnte es sein, dass Adenauer gerade deshalb zu einem der größten deutschen Politiker wurde, weil er einen gesunden Sinn für Entspannung, um nicht zu sagen: Faulheit, hatte? Man braucht Zeit zum Nachdenken, wenn man hohe Ziele hat. Stille, um die Prioritäten zu ordnen. Erholung, um lange durchhalten
zu können. Adenauer hat noch im hohen Alter so manchen Jüngeren in zähen, nächtlichen Verhandlungen zermürbt und schließlich zum Nachgeben bewegt.
     
    Positive Faulheit lässt das Nebensächliche beiseite. Sind unsere PolitikerInnen heute zu fleißig? Wissen sie nicht mehr, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen? Verbrauchen sie sich dadurch schon in jungen Jahren? Nicht nur Ole von Beust mit 55 Jahren, sondern noch viel jüngere PolitikerInnen sind frühzeitig am Ende. Marina Weisband, die politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, warf bereits mit 25 Jahren nach nur elf Monaten wegen Überlastung das Handtuch.
     
    In meiner Zeit als Jurist bekam ich einen Einblick in die Termine des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg (das war vor Ole von Beusts Amtszeit). Meine Bestürzung über die Fülle der Verpflichtungen wurde nur noch übertroffen durch die Betroffenheit über die Nichtigkeit
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