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Liz Balfour

Liz Balfour

Titel: Liz Balfour
Autoren: Ich schreib dir sieben Jahre
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tot gewesen.
    Deirdre rief mich in Oxford an und nannte den Termin für die Seebestattung. Ich kam natürlich, aber ich konnte nicht weinen. Während seine Asche verstreut wurde, hatte ich nur Augen für meine Mutter. Ich versuchte zu erkennen, was der Tod ihres Mannes mit ihr gemacht hatte. Ich wollte wissen, ob sie sich nun mir gegenüber anders verhalten würde, ob sich die Distanz, die ich immer zwischen uns gespürt hatte, verringert hatte.
    Am Abend, als die Trauergäste gegangen waren und wir im Cottage aufräumten, sprach ich sie auf Colins Trinkerei an.
    »Er war ein guter Mann«, sagte sie nur.
    »Warum hat er so viel getrunken?«
    »Er hatte es nun mal nicht leicht«, sagte Deirdre.
    »Warum nicht? Er war gesund, abgesehen von der Trinkerei. Er hatte ein Haus, eine Frau, eine Tochter. Was war mit ihm los?«
    »Nichts. Manche Leute trinken nun mal.«
    »Aber er hat doch nicht schon immer getrunken. Sonst hättest du ihn kaum geheiratet. Und er hatte mal eine Arbeit. Was ist passiert?«, hakte ich nach.
    »Nichts.«
    »Warum kann ich dir das nicht glauben?«
    Sie schwieg.
    »Gibt es etwas, das ich wissen muss?«, drängte ich sie.
    »Er war … unglücklich. Ich habe versucht, ihm das Leben so leicht wie möglich zu machen, aber … Manche Menschen sind nun einmal unglücklich.«
    »Weil er arbeitslos war?«
    Sie schien erleichtert. »Ja, genau.«
    »Mutter, das kannst du mir nicht erzählen. Er hat seine Arbeit verloren, weil er getrunken hat. Nicht umgekehrt. «
    Sie lächelte nervös. »Es ging uns gut. Ich hatte ja immer Arbeit«, wich sie mir aus.
    Deirdre hatte von dem wirtschaftlichen Aufschwung Irlands profitiert, genau wie die meisten anderen im County. Große Firmen hatten sich während der Neunzigerjahre in und um Cork niedergelassen, es waren so viele neue Arbeitsplätze entstanden wie nie zuvor in der Geschichte des Landes. Deirdre arbeitete damals als Sekretärin für den Leiter einer Pharmafirma. Aber Colin hatte nicht gearbeitet, obwohl es sicherlich Jobs für ihn gegeben hätte.
    »Vielleicht hätte er gerne etwas anderes getan«, überlegte ich. »Hier boomt doch gerade alles. Er hätte …«
    »Oh, nein«, unterbrach sie mich. »Er wollte seine Ruhe haben. Er war gerne für sich.«
    Ich spürte, wie ich wütend wurde. »Was willst du mir damit sagen? Dass mein Vater lieber auf dem Sofa lag und trank, als sich um den Unterhalt seiner Familie zu kümmern, und du hast es auch noch unterstützt?«
    »So war es nicht«, sagte sie.
    »Aber wenn er mehr gearbeitet und weniger getrunken hätte, dann hättet ihr mich nicht weggeschickt, hab ich recht?« Vielleicht war es die Trauer, die mich das damals
sagen ließ. Es war das erste Mal, dass ich ihr offen vorwarf, mich weggegeben zu haben. Sie war für einen kurzen Moment erschüttert.
    »Das war doch alles zu deinem Besten«, sagte sie leise.
    »Stimmt. Es geht mir auch viel besser, als es mir bei euch jemals hätte gehen können«, sagte ich und hoffte auf eine Reaktion, auf ein Wort, das mir verriet, ob sie mich nicht lieber bei sich behalten hätte. Ich wollte von ihr hören, wie schwer es ihr gefallen war, mich nach England zu schicken, wie sehr sie mich in den Jahren vermisst hatte. Schließlich war ich ihr einziges Kind. Ich wollte sie provozieren.
    Aber sie sagte nur: »Dann ist es doch gut, dass alles so war, wie es war.«
    Und damit war das Thema beendet.
    Hinterher ärgerte ich mich, dass ich nicht einfach gesagt hatte: »Eure Entscheidung war richtig und gut, wahrscheinlich bin ich euch sogar dankbar dafür, aber wenn ihr es vorher mit mir besprochen hättet, dann hätte ich nicht angefangen, euch zu hassen.« Vielleicht hätte ich dann eine echte Reaktion von ihr bekommen. Aber wie so oft kam es einfach nicht dazu, und in Zukunft sollten wir noch seltener die Gelegenheit haben, darüber zu reden.
    Nach der Beerdigung meines Vaters sah ich Deirdre nämlich nur noch dreimal wieder. Wir telefonierten hin und wieder, tauschten zu Weihnachten und Geburtstagen nichtssagende Kartengrüße aus, aber wir sahen uns so gut wie nie. Erst war sie es, die geplante Treffen absagte. Dann sagte ich immer häufiger ab.
    Vor sieben Jahren hatte ich sie das letzte Mal in Irland besucht, um ihr zu sagen, dass Benjamin mich gebeten
hatte, ihn zu heiraten. Ein knappes Jahr später kam sie nach London zu unserer Hochzeit. Anschließend brauchten wir drei Jahre, um uns wiederzusehen. Wir trafen uns beim 75. Geburtstag von Benjamins Vater in dessen Haus in den
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