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Live Fast, Play Dirty, Get Naked

Titel: Live Fast, Play Dirty, Get Naked
Autoren: Kevin Brooks
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wurde im allgemeinen Bewusstsein bald zu einer weiteren Fußnote in der langen Geschichte des IRA-Feldzugs. Doch wenn auch die Medien und die Öffentlichkeit schnell ihr Interesse verloren, galt das nicht für den Geheimdienst. Und während dort die Ermittlungen weitergingen, traten langsam immer mehr Einzelheiten zutage. Es war ein unglaublich schleppender Prozess, in dem über Monate und Jahre winzige Häppchen preisgegeben wurden, und selbst jetzt, nach fünfunddreißig Jahren, gibt es noch jede Menge unbeantwortete Fragen. Doch trotz der zwangsläufig mühsamen Untersuchung – und der Abneigung des Geheimdienstes, darüber zu reden – kamen die Fakten nach und nach raus.
    Die Explosion wurde durch eine aus Dünger selbst gebastelte 150-Kilo-Bombe ausgelöst. Die Bombe, die voll und ganz die Handschrift der IRA trug, explodierte im Kofferraum eines Fahrzeugs in der Werkstatt.
    Was die Opfer betraf, so hieß es im ersten Bericht, es seien bei der Explosion zwei Männer umgekommen, aber ein zweiter Bericht, der Monate später veröffentlicht wurde, sprach von mindestens drei Toten, möglicherweise auch vier. Offensichtlich war es aufgrund der gewaltigen Sprengkraft der Bombe und der Nähe, in der sich die Opfer aufgehalten hatten, überaus schwierig, »die menschlichen Überreste zusammenzusetzen und zu identifizieren«. Trotzdem hatte der Geheimdienst wenig Zweifel, dass die Bombe das Werk der IRA und die Opfer alle Mitglieder einer IRA-Zelle in London waren, die einen Autobomben-Anschlag auf irgendein prominentes Ziel in der Hauptstadt planten.
    Es dauerte bis Sommer 1979, ehe ein weiterer Bericht veröffentlicht wurde, der besagte, dass zwei der Männer, die an dem Tag umgekommen waren, inzwischen identifiziert seien. Ihre Namen waren Liam Breen, 24, Vater von zwei Kindern, aus Derry, und Donal Callaghan, 47, ebenfalls aus Derry. Beide waren den Behörden als IRA-Mitglieder der Derry-Brigade bekannt, und es wurde ferner behauptet, Donal Callaghan sei in eine Reihe von Morden verwickelt gewesen, die die IRA Mitte der Siebzigerjahre in Auftrag gegeben habe.
    Es wurde nie geklärt, wieso die Bombe an jenem Tag vorzeitig in der Werkstatt losgegangen war, und weil die Einzigen, die den tatsächlichen Hergang kannten, die Männer waren, die sich am Explosionsort aufgehalten hatten, wird die Wahrheit wohl niemals ans Licht kommen. Die meisten Berichte führen die vorzeitige Explosion auf menschliches Versagen zurück – einer machte einen Fehler, der Sprengstoff war instabil, die Verkabelung falsch – und es ist gutmöglich, dass wirklich nicht mehr dahintersteckte. Doch es gibt natürlich auch andere Möglichkeiten und über die Jahre habe ich unzählige schlaflose Nächte damit verbracht, jede einzelne durchzugehen – mir dies vorzustellen und das auszumalen, mich verzweifelt zu fragen, ob William irgendwann etwas gesagt oder getan hatte, das mir einen Hinweis auf das gab, was passiert war …
    In meinen dunkelsten Momenten frage ich mich manchmal, ob er nicht von Anfang an wusste, dass Donal tatsächlich der Donal Callaghan war, und dass er die ganze Zeit nur die eine Absicht gehabt hatte, den Mörder seines Vaters bei der erstbesten Gelegenheit zu töten, die sich ihm bot. Es ist ein verstörender Gedanke und ich habe es nie so richtig geschafft, ihn für mich zu akzeptieren, denn das würde heißen, dass William mich belogen hätte. Aber er hatte mir doch versichert, mich nie belogen zu haben. Ich hatte ihm damals geglaubt … und ich glaube ihm immer noch.
    Dabei gibt es eine Variante, die ich akzeptieren kann – dass er vielleicht erst im allerletzten Moment eine Bestätigung für seine Annahme über Donal fand. Vielleicht hatte Donal an jenem Tag in der Werkstatt etwas gesagt, das nur der Mörder von Williams Vater wissen konnte, und William hatte aus dem Bauch heraus gehandelt …
    Oder vielleicht hat er auch nie die Wahrheit über Donal herausgefunden. Sondern stattdessen in Erfahrung gebracht, dass der geplante Anschlag unschuldige Menschen töten würde, und es hatte nur eine Möglichkeit gegeben, das zu verhindern – nämlich die Bombe vorsätzlich zu zünden …
    Oder vielleicht stimmte auch nichts davon.
    Ich weiß es nicht …
    Um ehrlich zu sein, inzwischen versuche ich, nicht mehr zu viel drüber nachzudenken, denn irgendwann habe ich gemerkt, dass es eigentlich keine Rolle spielt. Was immer an jenem Tag geschah – wie edel, dumm, mutig oder gerecht es auch war –, William bleibt für immer
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