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Literaturgeschichte der USA

Literaturgeschichte der USA

Titel: Literaturgeschichte der USA
Autoren: Mario Klarer
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überzeichneter Ort stilisiert. So entwirft Platon im 4. Jahrhundert vor Christus ein Bild des utopischen Staates Atlantis, das im Mittelalter in fantastischen Reiseberichten wie z.B. von St. Brendan zu wundersamen Inseln im Atlantik umgeformt wurde. Das ändert sich mit der Entdeckungsreise von Kolumbus. Bekanntlich war der Grund seiner Reise die Erkundung eines neuen Seeweges nach Indien, der nicht um Afrika herum über das Kap der Guten Hoffnung ostwärts führt, sondern über eine nach Westen gerichtete Route. Kolumbus brach Richtung Westen auf, um – rund um die Erde – in den Osten zu gelangen. Mit dieser Reise in den Fernen Osten
über
den Westen verschmolzen bestehende Vorstellungen über beide Himmelsrichtungen im Amerikabild des 15. und 16. Jahrhunderts.
    In dem Moment, in dem
Christoph Kolumbus
(1451–1506) und nachfolgende Entdecker Fuß auf Amerika setzten, waren sie mit einem Kontinent voll von Unbekanntem und großteils Unerklärlichem konfrontiert. Die großen Lücken im Wissen um diese «terra incognita» wurden aber sofort bereitwillig mit tradierten utopischen Vorstellungen des Fernen Ostens und Westens aufgefüllt. Deshalb wurde bereits in den ersten Berichten des Kolumbus Amerika mit dem Goldenen Zeitalter oder dem irdischen Paradies gleichgesetzt, das alles für das Leben Notwendige ohne menschliches Zutun gleich einem Schlaraffenland hervorbringt. Früchte, Bodenschätze und Nahrungsmittel sind in Fülle vorhanden und das günstige Klima erlaubt mehrere Ernten im Jahr. Es handelt sich hier vor allem um Vorstellungen vom Goldenen Zeitalter, wie sie der antike Dichter Ovid in seiner Abfolge der Weltzeitalter beschreibt. Der neue Kontinent wurde als eine «nährende Mutter» – eine «alma mater» – gesehen, die bereitwillig für die Bewohner sorgt.
    Die Bewohner der Neuen Welt werden im Einklang mit der paradiesischen Umgebung als edle Wilde gezeichnet, die in Harmonie mit Mutter Natur leben. In sehr vielen dieser frühen Reiseberichte werden die Ureinwohner Amerikas jedoch nur vordergründig edel und positiv dargestellt, denn häufig zeichnen sich diese «Edlen Wilden» auch durch grausame kannibalische Praktiken aus. Dieser Widerspruch zeigt sich in zahlreichen Reiseberichten, aber auch in den frühesten Illustrationen und bildlichen Darstellungen der Neuen Welt.
    Bereits die älteste bekannte Darstellung von Indianern in einem Holzstich aus dem frühen 16. Jahrhundert zeigt eine Indianerin in der Pose einer «nährenden Mutter». Diese Indianerin ist sicher auch auf einer allegorischen Ebene zu verstehen. So wie die Mutter ihr Kind mit allem Notwendigen versorgt, so versorgt der amerikanische Kontinent seine Bewohner mit allem, was für das Leben benötigt wird, im Überfluss. Auch spätere Allegorien Amerikas bedienen sich ähnlicher visueller Strategien.Ein Stich von Theodor Galle aus dem frühen 17. Jahrhundert zeigt den Entdecker Amerigo Vespucci neben einer üppigen weiblichen Allegorisierung Amerikas, die offensichtlich untätig in einer Hängematte einen schlaraffenlandartigen Zustand der Neuen Welt suggeriert. In beiden Darstellungen wird Amerika als weibliche Figur mit utopisch-paradiesischen Vorstellungen gleichgesetzt. Betrachtet man aber die beiden Bilder genauer, so wird dieses Idyll durch grausamen Kannibalismus wieder in Frage gestellt. Sowohl im Holzschnitt mit der Darstellung von Indianern als auch im späteren Kupferstich mit Amerigo Vespucci sehen wir Einwohner, die entweder Menschen verzehren oder zum Verzehr vorbereiten.
    Genau dieselben Topoi finden sich auch in zahllosen Texten zur Entdeckungsgeschichte.
Amerigo Vespucci
(1452/54–1512) schrieb zum Beispiel von einer Begebenheit auf seiner zweiten Reise im frühen 16. Jahrhundert:
    The young man advanced and mingled among the women; they all stood around him, and touched and stroked him, wondering greatly at him. At this point a woman came down from the hill carrying a big club. When she reached the place where the young man was standing, she struck him such a heavy blow from behind that he immediately fell to the ground dead. The rest of the women at once seized him and dragged him by the feet up the mountain […] There the women, who had killed the youth before our eyes, were now cutting him in pieces, showing us the pieces, roasting them at a large fire […][ 1 ]
    Der junge Mann kam näher und mischte sich unter die Frauen; sie alle standen um ihn herum und berührten und streichelten ihn mit großer
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