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Lisa

Lisa

Titel: Lisa
Autoren: Thomas Glavinic
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seiner ameisenverseuchten Veranda und schießt Papierflieger auf die Gasse. Oder bastelt an einem Flaschenschiffchen. Ein kahler, nervöser Typ mit einer Nase, so was hat die Welt noch nicht erlebt, und wenn er euch mit dem linken Auge ansieht, schaut er mit dem rechten in seine linke Brusttasche. Wir reden nicht darüber, doch er dürfte nur mein Halbbruder sein.
    Er kennt die ganze Geschichte und macht sich Sorgen. Am Anfang war er skeptisch, jetzt weiß er nicht mehr, was er glauben soll. Gibt er immerhin zu. Er hat keine Ahnung, wo wir sind, nicht mal ihm sage ich das.
    Außerdem hat der seine eigenen Probleme, dem ist vor acht Jahren eine Hantel aus der Hand gerutscht, und seither spürt er vom dritten Lendenwirbel abwärts nichts mehr. Als mein Vater starb, habe ich auf mein Erbteil verzichtet,damit Walter sich die Betreuung leisten kann. Ich hätte das Geld schon genommen, und nicht ungern, doch erstens hätte ich es sowieso bloß verjuxt, zweitens habe ich genug, und drittens hat er es wirklich nötig. Irgendwelche Gründe werden die da oben eines Tages brauchen, um mich ins Paradies aufzunehmen. Pfui Teufel, ist das Wasser warm, ist ja abscheu…
    …
    Ablasshandel. Den wird es wohl immer geben. Möchte wissen, wie viele alte Frauen auf dem Land heute noch von ihrem Pfarrer ins Gebet genommen werden, ihr Haus der Kirche zu vererben, weil es der Herr lohnen wird.
    Der eine, den sie so spät gefunden haben, der mit den drei Eisenstangen quer durch den Schädel, der war ja Pfarrer. Hat mich sehr beeindruckt. Nicht, was sie mit ihm gemacht hat, ihre Bestialitäten war ich da längst gewöhnt.
    …
    Übrigens versucht es Walter mit Akupunktur. In Bezug darauf bin ich der Skeptiker, doch nachdem er sich seit zwei Jahren Nadeln reinhauen lässt, hat er bereits acht Zentimeter Gefühl im Körper zurückgewonnen, acht Zentimeter nach unten. Da staune ich. Von dem habe ich übrigens die Soundkarte, die in diesem Laptop steckt, wie auch das Mikro, also Beschwerden bitte an ihn.
    Internet funktioniert, der Handyempfang hingegen ist hier nicht so prächtig. Ich habe die Bitrate eher mittel eingestellt, das heißt, ich hoffe darauf, dass ihr mich gut versteht. Überprüfen kann ich es leider nicht.
    Wenn ich vollkommen störungsfrei telefonieren will, muss ich ein paar Kilometer den Berg hinunter. Anfangshabe ich den Jungen hiergelassen und bin einfach gefahren, mittlerweile hat sich das geändert. Moment!
    …
    Jetzt geht das schon wieder los. Kaum ist es dunkel, höre ich sonderbare Geräusche. War natürlich nichts.
    Das Gasthaus. Lassen es einfach verfallen, ein schönes altes Gasthaus, mit einer eigenen Geschichte.
    Wahrscheinlich bringt es eben kein Geld. In der Woche, seit wir hier sind, haben wir nicht einen Menschen getroffen. Ich bin mir fast sicher, dass Alex und ich die einzigen Seelen im Umkreis von mindestens zehn Kilometern sind, abgesehen natürlich von Katzen und Mardern und dem ganzen anderen Getier. Sollten wir jedenfalls sein.
    Eine Begegnung mit einer Schlange hatten wir vorgestern. Eigentlich wäre ich davon ausgegangen, dass Alex wie der Blitz auf den nächsten Baum springt, aber er hat mir nur ruhig befohlen zu warten. Ich also Sicherheitsabstand eingenommen und das Vieh im Auge behalten. Fünf Minuten später wetzt er wie ein Blöder den ganzen Hang vom Haus herab und winkt und schreit, in der Hand ein Buch. Ich kann mir schon denken, was für eine Nachricht er da für mich hat, und gehe noch zwei Meter zurück. Moment, Moskito!
    Das Buch war eines über Schlangen. Und die Schlange, die ich die ganze Zeit betrachtet hatte, so ziemlich das giftigste Vieh, dem ihr in unseren Breiten begegnen könnt. Sehr selten überdies, eine Trophäe für jeden Schlangenkundler. Wir haben ihr noch einmal unseren Respekt bekundet, ihr eingeschärft, vom Haus wegzubleiben, und uns schleunigst verzogen.
    Ich wollte noch etwas über das Gasthaus sagen, aber ich habs vergessen.
    …
    Okay. Okay. Langsam.
    …
    Die Polizei kriegt bald raus, dass die Frau, die in unserer Wohnung ein Taschentuch verloren hat, auch an anderen Straftaten beteiligt gewesen ist. Ich sage das deshalb so neutral, weil es sich bei den anderen Vergehen um Schwerwiegenderes gehandelt hat als um einen Wohnungseinbruch. DNA-Spuren dieser Frau sind im Lauf vieler Jahre nahezu bei allen denkbaren Verbrechen gefunden worden, das beginnt beim Hirsediebstahl am weststeirischen Bauernhof und endet bei mehrfachem Foltermord, dass einem schon bei den
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