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Lisa

Lisa

Titel: Lisa
Autoren: Thomas Glavinic
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Polizei hört nicht zu? Obwohl, was interessiert sich die für einen Kokser mehr oder weniger. Und wenn, ihr findet mich nie. Sucht lieber Hilgert, ihr Quallen.
    Ich will plötzlich dauernd Worte mit Qual sagen. Qual…ifikation. Qual…men. Qual, der Wal.
    …
    Ah. Bruha!
    Oft kippe ich zehn Minuten in mich rein, da laufen die Gedanken. Ist für euch nicht sehr unterhaltsam, schon klar.
    Manchmal hat man plötzlich einen Satz im Kopf und weiß nicht, woher. Also nicht nur Wörter mit Qual, wie vorhin, mitunter kriechen mir manche Sätze tagelang immer wieder über den Weg. Neulich ging mir die ganze Zeit »All work and no play makes Tom a dull boy« durch den Kopf. Ständig den doofen Satz im Hirn, und ich weiß nicht mal, was das heißt.
    Ein Freund von mir, der hat jahraus, jahrein jeden Tag den Satz »Vernichtet die Feinde der Demokratie!« im Kopf. Das bedeutet wenigstens etwas. Bei mir sind es ausnahmslos Seltsamkeiten. Man sucht sich die Sätze nicht aus, die Sätze kommen von selbst.
    …
    Ich muss noch einmal kurz weg, einen Blick nach draußen … Ihr könnt sagen, ich bin überreizt, ich sehe Sachen, die sonst keiner sehen würde. Trotzdem bin ich mir sicher, dass gestern Nacht jemand ums Haus geschlichen ist. Keine Ahnung, wer das gewesen sein könnte, nein, das heißt, ich habe durchaus eine Idee, aber das kann einfach nicht sein.
    Doch. Etwas liegt in der Luft, ich weiß es und der Junge weiß es. Er ist ja nicht blöd, er läuft angespannt herum, will sich nichts anmerken lassen.
    So. Ich mache einen Rundgang und bin in fünf Minuten zurück.
    …
    Noch alle da?
    Wisst ihr eigentlich, wo ich bin? In einer Berghütte. Hütte ist zu klein gesagt, es ist ein Landhaus. Ich verpeste den ersten Stock. Fünf Zimmer, vier davon ziemlich karg eingerichtete Schlafzimmer, in einem schläft Alex, und dann gibts noch die Küche. Bauerneinrichtung, Holz, niedrige Decken, der Ofen qualmt, einen E-Herd hat der Bretterpalast bestimmt nie gesehen. Wie denn auch, die haben hier garantiert keinen Starkstrom.
    Ich bin in meinem Schlafzimmer, wo auch der Laptop und das Mikro mit dem Wackelkontakt stehen, der hoffentlich nicht so oft wackelt, dass ihr gar nichts mehr mitkriegt.Ich habe das Ferienhaus wegen des Internetempfangs gemietet, im Prospekt stand es drin, hier gibts Internet, natürlich nur, wenn mans selbst mitbringt. Stand genau so drin: Internet muss selbst mitgebracht werden. Habe ichs halt mitgebracht.
    Wir sind die einzigen Gäste, ich habe das ganze Haus gemietet. Das ganze seltsame Haus.
    In jedem Zimmer hängt ein Kalender von vor fünf Jahren, sogar auf den Gängen. Da gibts alles. Katzenkalender. Clownkalender. Lokomotivkalender. Pin-up-Kalender, der hat Tankstellenniveau. Aber es gibt auch richtig kranke Sachen, Insektenkalender zum Beispiel. Wer stellt so was her? Jetzt machen wir mal einen Kalender mit schönen großen Ameisen und Käfern und Hornissen? Wem fällt so etwas ein, und wer kauft es und warum?
    …
    Gegenüber steht ein verlassenes Gasthaus. Erinnert mich ein wenig an das Haus in Slowenien, in dem sie die drei Brüder gefunden haben, die unsere Freundin so zusammengebunden hatte, dass sie sich gegenseitig erwürgen mussten. Interessanterweise haben die zwei anderen den Jüngsten zuerst…– na, egal. Da oben war sicher drei, vier Jahre niemand, bis ich vor ein paar Tagen rein bin. Eine fünf Jahre alte Zeitung ist rumgelegen. Habe darin gelesen, ich mag alte Zeitungen. Rufe von gestern! Macht schon nachdenklich, was wir vor fünf Jahren alles nicht wussten. Welche Kriege und Konflikte kommen würden, welche Katastrophen uns erwarten würden. Wer sterben würde.
    Früher hatte ich die Angewohnheit, die Tageszeitung nicht wegzuwerfen, sondern in meinem Arbeitszimmer zu stapeln, um sie in ein paar Jahren zu lesen und mich zu erinnern…Tja, ist aber nichts draus geworden, Katha hat sie weggeschmissen. Alte Zeitungen gibt man doch zum Müll! Quackquackquack. Na ja. Schwamm drüber.
    Bin eine Weile durch das Gasthaus gestapft. Alex wollte nicht mit, war ihm zu gruselig. Irgendwie verständlich. Mit acht hatte ich auch so meine Ängste, ohne dass ich je herausgefunden hätte, ob sie berechtigt waren. Das erfährt man nie. Wer weiß, womöglich ist viel mehr dran an diesen Kinderahnungen, als wir uns vorstellen können.
    …
    Habe mein Telefon angehängt. Und eine SMS an Walter rausgeschickt, meinen Bruder, aber ich will ihn nicht zu sehr beunruhigen.
    …
    Hmmm.
    …
    Walter sitzt sicher auf
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