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Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Titel: Linksaufsteher: Ein Montagsroman
Autoren: Matthias Sachau
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Gesicht stillhalten, und zweitens ist es ja auch eigentlich egal, ob die Antwort »Antigentrifizierung durch xenofolkloristische audible Elemente« oder »angewandte akustomethodische Mnemotechnik« heißt. Ich hänge meine Jacke über die Kameralinse und schlüpfe seufzend in mein bereitgelegtes Mephisto-in-Lederhosen-Kostüm. Trotz Durst ignoriere ich die zahlreichen bereitgestellten Pinklbräu-Easy-Flaschen und pflanze mich stumm leidend ans Ende der Sitz-Warteschlange derer, die noch ein Mal von Reinardo begleitet singen wollen.  
    »Deine Hörner sitzen schief, Oliver.«  
    »Das soll so. Bewusst allozierte Symmetriediskordanz.«  
    ***  
    Unglaublich. Elvins und Adrians Rechnung ist aufgegangen. Rüdiger Rodeo spielt Faust 2.0! Einmal diese Überschrift ins Internet geplärrt, und sie kamen aus allen Ecken angerauscht. Dem Vernehmen nach sind sogar Leute aus Österreich und der Schweiz angereist. Das Coffee & Bytes platzt aus allen Nähten. Und nicht nur das, sie haben, nachdem klar war, dass dort nie und nimmer alle reinpassen, noch schnell ein Public Viewing in unserem Proberaum-Ladengeschäft eine Straße weiter organisiert. Ob sie alle wissen, dass ihr Star Rüdiger im ganzen Stück nur ein Mal »Seid uns gegrüßt, ihr Herrn!« und ein Mal »Ich hätte Lust, nun abzufahren« sagt?  
    Noch sitze ich mit ihm in unserer Garderobe. Wir können über einen Monitor verfolgen, was auf der Bühne passiert. Ein Beamer wirft eindrucksvoll animiertes grünliches Gewaber an die große Leinwand hinter der Bühne. Die Scheinwerfer gehen an. xman41, Reinardo und die anderen sitzen in ihren lila-braunen, mit bayerischen Trachtenapplikationen versehenen Kostümen am großen Wirtshaustisch und starten vor den Augen der versammelten Web 2.0-Massen das Unheil.  
    » Will keiner trinken? Keiner lachen?  
    Ich will euch lehren Gesichter machen!  
    Ihr seid ja heut wie nasses Stroh,  
    Und brennt sonst immer ähm … lichterloh. «  
    » Hrrhäm … Das liegt an dir; du bringst ja nichts herbei,  
    Nicht eine Dummheit, keine Sauerei. «  
    Okay, jetzt kippt xman41, so wie es im Text steht, Uli Bier über den Kopf. Zumindest das kriegt er ziemlich souverän hin.  
    » Da hast du beides! «  
    » Doppelt Schein … Schwein! «  
    » Ihr wollt es ja, man soll … pffffhihihi … es sein. «  
    Ich sehe Rüdiger an. Er nickt. Ganz ruhig und zufrieden. Klar. Peristatisch-organische Wechseldeterminanten. Alles so gewollt. Das war aber erst der Anfang. Ein paar holprige Zeilen später zieht Reinardo seine Klampfe unter dem Tisch hervor und xman41, nun ja, singt das erste Lied. Ich sehe Rüdiger an. Er nickt wieder. Noch ruhiger und noch zufriedener. Schon gut.  
    Ich schaue ein letztes Mal in den Spiegel und teste noch einmal meine Mephistostimme.  
    »Okay, Faust, wir sind dann gleich dran.«  
    »Ja.«  
    »Ähm, du solltest dich bereithalten, Rüdiger.«  
    »Tue ich.«  
    »Bereithalten im Sinne von aufstehen und am Bühneneingang warten! Unser Stichwort kommt gleich!«  
    »Du gehst auf die Bühne, ich bleibe hier. Ich habe mein Konzept noch mal geändert.«  
    »Aber Faust und Mephisto kommen zusammen in …!«  
    »… Er sieht in der geschwollnen Ratte  
    Sein ganz natürlich Ebenbild. «  
    Das Stichwort! Ach, leck mich. Gehe ich halt ohne Faust auf die Bühne. Mir doch alles egal. Los.  
    HUCH !  
    Aha. Das grüne Gewaber ist weg, stattdessen ist Rüdigers Gesicht genau in dem Moment, als ich die Bühne betreten habe, absurd vergrößert auf der riesigen Leinwand erschienen. Mein Kopf reicht gerade mal bis zu seinem riesigen Mund. Dafür war also die Kamera in der Garderobe! Seine Haut hat einen unheimlichen grünen Farbton. Das Kamerabild wird anscheinend durch einen Blitzrechner mit Bildbearbeitungseffekten gejagt. Ich muss sofort an Shrek denken, aber trotzdem kichere ich nicht, sondern spule souverän meinen Text ab. Und genieße hämisch den Stolz, dass ich das viel besser kann als alle anderen hier.  
    » Ich muss dich nun vor allen Dingen  
    In lustige Gesellschaft bringen,  
    Damit du siehst, wie leicht sich’s leben lässt  
    Dem Volke hier wird jeder Tag ein Fest …«  
    Das kann doch nicht wahr sein! Die riesige stumme Faustfresse im Hintergrund stiehlt mir dermaßen die Show, dass alles zu spät ist. Hallo? Ich bin es doch, der gerade spricht! The Voice of Pinklbräu, heute exklusiv für euch mit
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