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Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Linksaufsteher: Ein Montagsroman

Titel: Linksaufsteher: Ein Montagsroman
Autoren: Matthias Sachau
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    »Hallo Oliver, kann ich kurz mit dir sprechen?«  
    »Ich werde mich nicht dagegen sträuben.«  
    Rüdiger drängt sich in unseren Sitzkreis und beginnt auf mich einzureden. Auch gut. Bin ich wenigstens weg von Elvin und Adrian.  
    »Deine schmal kontingentierte Zufriedenheit nach der heutigen Probe ist mir nicht entgangen, Oliver.«  
    »Och, wenn du zufrieden bist, bin ich auch zufrieden. Oder bist du das nicht?«  
    Er legt los. Faust 2.0, das Stück, die Probe, das Dilettantische, das Ungeklärte, das Geschmacklose, das vorprogrammierte Scheitern – alles Teil seines Plans: »… denn die inszenatorische Kernidee fußt auf peristatisch-organischen Wechseldeterminanten … kategorische Verneinung der Bühne als Quasisanktuarium … basiskarnevalistischer Prinzipduktus …« Wollte er nur noch einmal sagen. Ich habe bereits so viele Rauschmittel in mir, dass ich eigentlich bestens in der Lage wäre, auch im Rüdiger-Slang zu antworten, aber im Gegensatz zu neulich im Coffee & Bytes bin ich zu faul, um viel zu sprechen. Retos Bio-Gras. Ich nicke nur, hebe von Zeit zu Zeit die Augenbrauen und zeige mit dem Zeigefinger auf ihn. Das erweckt nicht nur den Eindruck, dass ich zustimmend zuhöre, sondern gibt meiner Reaktion auch einen interessanten rhythmischen Aspekt.  
    Neben mir haben Elvin und Adrian den armen Gonzo fest im Griff, während die anderen Veteranen sich feige verzogen haben. Wenn Rüdiger mit mir fertig ist, muss ich Gonzo da raushauen, nehme ich mir vor. Aber das kann noch dauern.  
    ***  
    »… und so ist Faust 2.0, um es zusammenzufassen, am Ende ein hochspekulatives Reizgemenge aus endogen-erogen induzierten Realkapriolen und biozentrisch justifizierten Quisquilien.«  
    »Unter umgekehrten Vorzeichen?«  
    Er denkt kurz nach.  
    »Nein, nicht wirklich. Doch ein interessanter Gedanke, Oliver.«  
    »Zeit für Musi-hik!«  
    Als hätten die anderen zugehört und genau das Ende des Gesprächs abgepasst. Fein! Ich freu mich schon und lasse mich willig in Tobis Zimmer mit dem aufgebauten Musikequipment ziehen. Vor lauter erwartungsfrohen Leuten ist kaum noch Platz. Erstaunlich, wie wenige Gesichter ich hier noch kenne. Aber gleich werden sie mich kennen. Erst ein paar von den alten Hits zum Warmwerden, dann versuche ich mal diese Melodie, die ich gestern gefunden habe. Vielleicht fällt den anderen ja spontan was dazu ein.  
    Es knackt laut in den Boxen, als Francesco mal wieder seinen Bass einstöpselt, ohne vorher seinen Verstärker herunterzudrehen. Wir lachen im Chor. Dann lässt Gonzo ein paar krachende Akkorde aus seiner Gitarre, die anderen steigen ein und … Ist das mein Handy in meiner Hosentasche? Ja, ist es. Noch stehe ich nicht auf der Bühne. Die anderen spielen beim ersten Stück immer ein paar Takte voraus. Trotzdem, das ist doch jetzt irgendwie … Ich kenne diese Nummer nicht. Hm …  
    »Hallihallo?«  
    »Hier ist Lena.«  
    »Woher hast du meine Nummer?«  
    Kann das wahr sein? Lena ruft mich an! Und ich sage nicht »Wie wunderbar!«, ich sage auch nicht »Oh, ich habe so viel an dich gedacht«, sondern ich sage »Woher hast du meine Nummer?«. Es gibt auf dieser Welt keine Strafe, die hart genug wäre, um das sühnen.  
    »Kurt hat sie mir gegeben. Sei ihm nicht böse, ich habe sie ihm abgebettelt.«  
    Um den Lärm abzudämpfen, presse ich meine rechte Hand so fest auf mein Nicht-telefonier-Ohr, dass es weh tut.  
    »Ich bin Kurt nicht böse. Im Gegenteil, ich werde gleich morgen damit anfangen, Kurt ein Denkmal dafür zu bauen, dass er dir meine Nummer gegeben hat. Ich war nur so verdattert. Außerdem wollte ich gerade … Ähm, alles okay?«  
    »Ich kann dich nicht so gut hören, ist so laut bei dir.«  
    »Moment.«  
    Ich dränge mich mit Gewalt durch alles durch und über alles hinweg, was mir den Weg zur Wohnungstür versperrt. Und wenn ich sage alles, dann gehört dazu auch der Inzaghi-Hass-Altar und eine Fünfergruppe Hip-Hopper à 100 Kilo plus das Stück. Als ich endlich im Treppenhaus stehe, spreche ich weiter.  
    »Jetzt besser, Lena?«  
    »Ja. Wo bist du denn?«  
    »Auf einer Party in meiner alten WG . Komm doch auch. Es ist …«  
    »Nein.«  
    »Okay.«  
    »Oliver …«  
    Sie weint. Das merke ich nicht nur an ihrem Atem. Ich bilde mir sogar ein, die Tränen zu hören, die ihr das Gesicht herunterströmen. Nein!  
    »… kannst du … kommen?«  
    ***  
    Ich wohne lange genug in dieser Stadt, um die breite,
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