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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg
Autoren: Renate E. Daimler
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Abend, dann holte sie den cremefarbenen Umschlag aus der untersten Schreibtischlade, legte ihre Füße auf den Tisch und öffnete das Billett.
    Dr. Paolo Vicente und Dr. Kristina Walf
    bitten zu einem Wochenende mit Freunden.
    Dresscode: bequem.
    Der Text war handgeschrieben, die Adresse in einer zurückhaltenden Schrift gedruckt.
    Lilly spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss. Sie stand auf und ging zu Ralf hinüber, der seine Füße vom Schreibtisch nahm und sie interessiert ansah: „Ich habe ein Problem, ich muss mit dir reden.“ Sie hatte Ralf bisher nichts von Paolo erzählt, aber jetzt war es Zeit für eine Beichte.
    Sie verließen gemeinsam die Redaktion und spazierten zum Gläsernen Elefanten , ihrer Lieblingsbar an der Grenze zwischen erstem und neuntem Bezirk. Ralf war ein guter Zuhörer, und auch wenn Lilly nicht in die Details ihrer Obsession ging, seufzte er enttäuscht, dass die Erzählung nach einer halben Stunde zu Ende war. „Großartige Geschichte, fahr hin, das ist doch spannend, was soll dir passieren?“
    Seine Reaktion überraschte sie nicht. Ralf hatte ein Faible für skurrile Geschichten, und seine eigene Liebesgeschichte entbehrte nicht der Pikanterie. Sein Lebensgefährte Chris war ein erfolgreicher Radiomoderator, der in München lebte. Dort hatte er in einer kurzen Phase der Orientierungslosigkeit mit einer bekannten Malerin eine Tochter gezeugt. Die vier verstanden sich so gut, dass sie traditionell Ostern und Weihnachten gemeinsam feierten und einmal im Jahr als Familie für zwei Wochen in den Urlaub fuhren. Dass Ralf und Chris eine Beziehung auf Distanz führten, empfanden beide als Segen. Der Beruf war ihre Leidenschaft und sollte nicht durch einen banalen Alltag gestört werden.
    Am nächsten Tag versuchte Lilly, Paolo zu erreichen. Sie sprach mit seiner Sekretärin und glaubte ihr kein Wort, als sie sagte, er wäre den ganzen Tag außer Haus, weil er von einem Meeting ins nächste ging. Es war Freitag und das Wochenende am Semmering, einem alten Luftkurort eine Stunde von Wien entfernt, stand vor der Türe.
    Lilly fuhr mit einem mulmigen Gefühl im Magen und völlig unkonzentriert durch die vielen Kurven. Sie trat ihren alten, hellblauen 2CV ungeduldig bis zum Anschlag durch, sobald sie in eine Gerade kam. Er hieß Godot und war ein Relikt aus ihrer Studentenzeit in Innsbruck. Sie hatte ihn dem Sohn des Leichenbestatters von Bregenz abgekauft, als sie in ihr neues Leben aufgebrochen war. Hinaus aus der Enge des Bregenzerwaldes. Innsbruck war auch eng, aber in der Landeshauptstadt von Tirol war sie wenigstens fremd und kannte niemanden. Hier wurden keine Vorhänge beiseitegeschoben, wenn sie vorüberging.
    Das Haus lag am Ortsende und war über einen schmalen Schotterweg zu erreichen. Ein typisches Ferienhaus aus der Gegend, das sich nur durch besonders üppigen Blumenschmuck von den Nachbarhäusern unterschied.
    Lilly war so erstaunt, dass sie irrtümlich auf die Bremse trat. Sie hatte Paolo ein extravagantes Domizil mit viel Glas zugeordnet. Sie fuhr wieder an und lenkte ihr Auto auf den kleinen Parkplatz neben der angrenzenden Scheune. Sie wunderte sich, dass es nur noch ein weiteres Auto gab, einen dunkelgrünen Jaguar mit cremefarbenen Ledersitzen, der wohl einem der beiden gehörte.
    Die Frau, die ihr lächelnd aus der offenen Haustüre entgegenkam, erkannte sie von einem Foto aus dem Zeitungsarchiv, das sie sich inzwischen besorgt hatte, und war dennoch überrascht. Ihr weißblondes Haar war zu einem losen Knoten hochgesteckt, ihr feines, blasses, fast altersloses Gesicht mit den hellblauen Augen strahlte eine Güte aus, die Lilly die Schamröte ins Gesicht trieb. „Wie kann er diese Frau mit mir betrügen, unfassbar!“ Als hätte sie ihre Worte gehört und wollte sie beruhigen, breitete Kristina die Arme aus und sagte mit einer tiefen, warmen Stimme: „Willkommen, wie schön, Sie kennenzulernen. Paolo hat mir schon viel über Sie erzählt.“
    Lilly war verwirrt. Wusste seine Frau nichts? Oder wusste sie alles? Gab es einen Deal zwischen den beiden, den sie nach dreißig Jahren Ehe geschlossen hatten, damit die Beziehung spannend blieb?
    Kristina sah Lilly fast zärtlich an und sagte mit wissendem Blick: „Ich kenne meinen Mann, er mag kluge, junge Frauen.“ Die Betonung war auf klug. Nicht auf jung.
    â€žWir werden diesmal
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