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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg
Autoren: Renate E. Daimler
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Gleichzeitig griff sie, ohne sich dafür entschuldigen zu wollen, auf Wissen zu, das damals noch in der Zukunft lag. Wenn ich mich beschwerte, dass das meine LeserInnen irritieren könnte, meinte sie lachend: „Dann sag ihnen, dass Zeit eine Illusion ist und dass alles auf Parallelebenen ohne eure beschränkte Zeitstruktur geschieht.“
    Ihre Biografie versetzte mich in Erstaunen. Weder bin ich im Bregenzerwald aufgewachsen, auch wenn ich eine „Viertel­wälderin“ bin, noch kommt mein Vater aus Wien. Ich habe keine französische Großmutter und auch keinen Freund Ralf, der mir immer zur Seite steht.
    Es gibt aber auch einen wahren Teil der Geschichte. Er hat mir den Rahmen für meinen Roman gegeben und mich inspiriert, meine eigenen Erfahrungen als „Frau eines Angeklagten“ zu verarbeiten. Die Esmeralda ist ein Schiff, das in meiner Realität Lucona hieß und tatsächlich gesunken ist, auch wenn die Personen rundherum erfunden sind.
    Als die Lucona am 23. Januar 1977 im Indischen Ozean durch eine Explosion an Bord sank, kannte ich Peter Daimler, der ­damals Mitarbeiter von Udo Proksch war, noch nicht. Sechs Seeleute kamen ums Leben, sechs weitere wurden zum Teil schwer verletzt.
    Im Rechtsstreit mit der österreichischen Bundesländerversicherung um die Auszahlung der Versicherungssumme stellte sich heraus, dass die für die Auszahlung angeforderten Papiere zumindest teilweise gefälscht waren und Packlisten, Rechnungen, Lieferscheine etc. erst nach dem Untergang hergestellt worden waren. Außerdem, urteilte das Gericht, waren Teile einer gebrauchten Kohlenförderanlage und andere unbekannte Güter verschifft worden.
    Das sind die Fakten nach Ansicht der Justiz.
    Die Wahrheit dahinter konnte nie schlüssig geklärt werden. Warum gibt es, wenn jemand eine Versicherung betrügen will, keine wasserdichten Papiere? Wie wurde die Sprengung bewerkstelligt? Eine Fernsprengung auf diese Distanz ist nicht möglich.
    Und warum hatten Spitzenpolitiker der österreichischen Regierung ein Interesse daran, Udo Proksch zu schützen?
    Es wurde von Waffengeschäften des neutralen Landes Österreich gemunkelt, von Geheimdiensten, die das Schiff in die Luft gesprengt hätten, vom als Selbstmord deklarierten angeblichen Mord an Verteidigungsminister Lütgendorf und vom Militär, das angeblich Fahrzeuge des Bundesheeres für den Transport des Schrottgutes zur Verfügung gestellt hätte. Es kam zu einem der größten Politskandale des Landes, Köpfe rollten und Schuldige wurden gesucht und gefunden. Bei Wikipedia heißt es: „Sechzehn Politiker, Juristen und Spitzenbeamte wurden von ihren Posten entfernt, angeklagt oder verurteilt; der österreichische Verteidigungsminister Karl Lütgendorf beging vermutlich Selbstmord.“
    Udo Proksch wurde am 11. März 1991 in Wien wegen Mordes an sechs Seeleuten zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Am 28. Juni 2001 starb „Österreichs Paradehäftling“, wie ihn Der Spiegel nannte, nach einer missglückten Herztransplanta­tion in der Strafanstalt Karlau in der Steiermark.
    Peter Daimler wurde am 11. Juni 1997 nach sechs Jahren Untersuchungshaft, dreihundertacht Verhandlungstagen und nach der Befragung von 120 Zeugen in Kiel zu 14 Jahren Haft wegen Beihilfe zum Mord verurteilt.
    Nach neun Jahren wurde er wegen guter Führung entlassen und lebt mit seiner zweiten Frau in Wien.
    Unsere gemeinsamen Kinder sind wunderbare Erwachsene geworden, die einen guten Kontakt zu ihrem Vater und seiner zweiten Frau haben. Carl, mein Lebensmensch, mit dem ich heute verheiratet bin, war in diesen schweren Jahren an unserer Seite.
    Der gewaltige Transformationsprozess dieser Zeit hat mich zu der Frau gemacht, die ich heute bin.
    Renate E. Daimler

Lillys Epilog
    Mich gibt es schon lange. Ich habe jahrelang an ihre Tür geklopft, aber sie wollte mich nicht hören. Sie sagte, dass man einen Roman nicht so nebenbei schreibt. Sie müsse sich dann mindestens ein halbes Jahr freinehmen von allen anderen beruflichen Verpflichtungen. Ich hörte ihr zu und wusste, dass sie nicht die Wahrheit sprach. Sie wollte nicht schreiben. Sie hatte Angst vor ihrer Vergangenheit, Angst, dass die Bilder von damals sie in ­einen Abgrund stürzen könnten.
    Wenn sie mir schon viel früher erlaubt hätte, in ihr Leben zu kommen, dann wäre alles viel einfacher gewesen. Dann hätte sie
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