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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg
Autoren: Renate E. Daimler
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anderen grinste, auch wenn sie es nicht sehen konnte. Es war alles gut. Selbst wenn vieles nicht gut war. Lilly hatte sich in ihrem paradoxen Leben eingerichtet, und wenn man sie gefragt hätte, ob sie glücklich war, hätte sie mit Ja geantwortet. Oder doch nicht. Weil es niemand verstanden hätte.
    Alles fing mit den beiden Gartenzwergen an. Sie waren ein Paar und nur zehn Zentimeter hoch. Sie lachten Lilly in dem kleinen Geschenkladen in Mellau an, in dem sie für ihre Mutter, bei der Lea und Niklas die letzten Tage der Sommerferien verbrachten, ein kleines Mitbringsel kaufen wollte. Sie war einen Tag früher aus Wien weggefahren und wollte ihre Familie überraschen. Sie stellte sich die drei vor, wie sie sich freuten und einen vierten Teller auf den Tisch stellten.
    Und dann kam alles anders. Sie hielt die beiden Zwerge in der Hand und sah plötzlich ein anderes Paar: Oskar und Lilly. Sie bezahlte die Zwerge, obwohl sie noch immer kein Geschenk für ihre Mutter hatte. Dann verließ sie wie in Trance das Geschäft, setzte sich ins Auto und fuhr weiter. Sie musste allein sein und über ihre Beziehung nachdenken.
    Lilly verließ Mellau und folgte der Bregenzer Ache, die sie in immer wildere Landschaften begleitete. Sie kannte ihr Ziel. Es gab zwischen Au und Damüls auf der rechten Seite eine Forststraße, die auf die Hinterseite der Kanisfluh führte. Aus Sicht der Mellauer. Die Kanisfluh gehörte vielen und für die Bewohner von Au war es die Vorderseite. Der Weg, der sie in immer unberührteres Gelände führte, war so schmal, dass sie Angst hatte, einem Einheimischen im obligaten Jeep zu begegnen. Sie fuhren, so wie Ella, sicher und gleichzeitig so schnell, dass Lilly bei jeder Kurve ihre Schutzengel bemühte. Ihre Sorge war unbegründet. Es war schon Abend, die Jäger und Bergsteiger waren Früh­aufsteher und heute nicht mehr unterwegs. Im Tal gingen die ersten Lichter an und sie schaute von ihrem Lieblingsaussichtspunkt in einer der vielen Kurven noch einmal auf die gezähmte Landschaft mit den adretten Häusern und der asphaltierten ­Straße hinunter.
    Der Berggasthof Edelweiß stand da wie immer. Inmitten dieser verzauberten Landschaft aus sattgrünen Wiesen, in denen moosbewachsene Felsbrocken lagen und deren Erscheinungsbild die Kühe und die Geißen bestimmten. Sie fraßen, wie sie wollten, und ließen hier ein paar Gräser stehen und dort ein paar Pflanzen weiterwuchern. Als ob sie sich freuten, dass Lilly wieder einmal hier war, bimmelten sie ihr ein Willkommen entgegen, und die Geißen überquerten genau in dem Augenblick die Straße, als sie vorbeifahren wollte. Hier war sie oft als Kind gewesen und hatte nach dem Abstieg von der Kanisfluh als Belohnung ein Glas Limonade und ein Brot mit Geißkäse bekommen. Wenn sie jetzt, als Erwachsene, mit Ella hierherkam, tranken sie hier nur Kaffee. Sie liebten ihr Picknick an einer geschützten Stelle ein paar Meter rechts vom Gipfelkreuz und fütterten lieber mit den Resten die Bergdohlen, die knapp über ihren Köpfen segelten.
    Lilly parkte ihr Auto und sah, dass drei Männer in weißen Schürzen sie aus der Küche, die auf den Parkplatz hinausging, anstarrten. Sie lachte, schaute an sich hinunter auf ihr kleines Stadtkostümchen und ihre Ballerinas, und zuckte mit den ­Schultern. Hier trug man Kniehosen, Wanderschuhe und Woll­strümpfe.
    Ein Zimmer gaben sie ihr trotzdem, auch wenn die Wirtin sich über ihren Aufzug wunderte. Im Auto hatte Lilly alles, was sie für die Berge brauchte. Aber das kam später. Jetzt wollte sie einfach nur unter dem vorspringenden Dach an einem der langen Holztische sitzen, ein Glas Wein trinken und zu sich kommen. Die anderen Gäste saßen schon in der Stube und waren beim Dessert. Sie konnte sie im Vorübergehen sehen. Satt und zufrieden gönnten sie sich nach ihren Wanderungen die wohlverdiente Entspannung. Eine junge Frau lief einem kleinen Kind nach, das auf den Gang herausgewackelt kam und sie anstrahlte. Lilly bückte sich zu ihm hinunter. Es war wohl kaum mehr als ein Jahr alt und trug kleine Filzpantoffeln, die sie an ihre eigene Kindheit erinnerten. Ihre Oma hatte ihr jedes Jahr zum Geburtstag ein neues Paar geschenkt und sie dafür gelobt, dass ihre Füße so schön wuchsen. Sie bückte sich und streckte dem Mädchen mit dem blonden Haarflaum und den blauen Augen die Hand
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