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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg
Autoren: Renate E. Daimler
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Lilly zu, die gerade in der Sonne saß und Zeitung las: „Da steht ein Fernsehteam am Eingang und will zu Ihnen. Soll ich die reinlassen?“
    Lilly sprang so heftig auf, dass ihr Campingstuhl umkippte, und schrie: „Nein, um Gottes willen, halten Sie mir die Leute vom Hals. Ich erkläre es Ihnen später!“
    Dann setzte sie sich mit den Kindern auf ihre Fahrräder und fuhr nach Marina Wendtorf. Das war weit genug weg.
    21. August 1995
    Unser Platz hat seine Unschuld verloren. Sie haben uns entdeckt und jetzt wissen zumindest alle Dauercamper, wer wir sind. Herr Klint ist diskret, aber ein Fernsehwagen vor der Tür ist wie ein Elefant im Porzellanladen. Selbst wenn man ihn aufhalten kann, fällt er auf.
    Wir sind vor dem Fernsehteam geflüchtet, aber ich bin Journalistin. Ich weiß, dass es nicht vorbei ist. Am nächsten Tag streunt eine junge Frau durch den Campingplatz. Sie trägt ein viel zu schönes Sommerkleid, zur Tarnung eine Badetasche in der Hand und benimmt sich so unauffällig, dass sie auffällt. Hier hat jeder, der über den Platz geht, etwas zu tun. Töpfe schrubben, aufs Klo gehen, Wasser holen, die Nachbarn zum Kaffee besuchen. Wer einfach so herumschlendert, macht sich verdächtig. Es dauert nicht lange, bis sie mich findet. Ich will nicht mehr flüchten, ich will mich mit der Kollegin auseinandersetzen.
    â€žHaben Sie Kinder?“, frage ich sie. Als sie den Kopf schüttelt, sage ich: „Wissen Sie, wie das ist, wenn das eigene Kind am Abend in Millionen Wohnzimmern zu Besuch ist? Wenn es plötzlich keine Spielkameraden mehr hat, weil alle wissen, dass sein Vater im Gefängnis sitzt? Wenn hinter seinem Rücken getuschelt wird und seine Kinderseele verletzt wird, weil es Ablehnung für etwas erfährt, wofür es nichts kann? Ich habe mich daran gewöhnt. Ich kann mich davor schützen. Aber meine Kinder nicht.“
    Ich greife mit einer schnellen Bewegung in ihre Badetasche und ziehe die Kamera heraus, die darin versteckt ist. „Ich erlaube Ihnen nicht, dass Sie uns fotografieren und Bilder in Ihrem Fernsehbericht zeigen. Bitte gehen Sie.“
    Ich zittere am ganzen Körper. Wir, die wir die Zeitungen und die Bildschirme füllen müssen, dringen ständig in fremde Menschenleben ein. Mit und ohne Erlaubnis.
    Das Gerichtsverfahren läuft längst und ich kann es nicht ­verhindern, dass vor dem Gericht die Fotografen auf mich warten. Im Gerichtssaal darf nicht fotografiert werden. Es spielt keine Rolle. Eine Tageszeitung hat einen Zeichner engagiert, der gestochen scharfe Bilder der Verhandlung abliefert. Jede Geste, jeder kleine und größere Skandal, weil ein Zeuge ungehalten ist, wird den Lesern gezeigt. Sie haben das Recht, dabei zu sein.
    Am Abend wasche ich mir den Schmutz, den ich höre, im Meer ab. Es gibt nichts, was ich durch meinen Filter sickern lasse. Oskar wird frei sein. Alles andere interessiert mich nicht. Ich klammere mich an jede Zeugenaussage, die ihn entlastet, und radiere aus meinem Gedächtnis alle anderen aus.
    Wenn man sich in einer Katastrophe gut einrichtet, kann das Leben richtig schön sein. Es gab eine Welt, in der Oskar mit ungewissem Ausgang im Gefängnis saß, und eine andere, in der Lilly mit ihren gemeinsamen Kindern versuchte, das Beste daraus zu machen.
    Die Jahre und die Bilder unterschieden sich nur noch wenig. Die Erinnerung an ihren Vater wurde für Lea und Niklas mit großem Engagement wachgehalten. Dafür sorgte Lilly durch ihre jährlichen Besuche auf dem Campingplatz. Es wurden immer mehr Abenteuerreisen daraus, die sie an einsame Seen in Mecklenburg, in kleine Dörfer in Ostdeutschland, an schöne Flüsse irgendwo brachten. Es gab Lagerfeuer, gebratene Würste und Kartoffeln in Folie, Besuche von Ella und Johanna, samt Kindern, die dann mitreisten.
    â€žMama“, sagte Lea in einer sternenklaren Nacht, als sie
an einem Weiher Halt gemacht hatten und in Decken gehüllt
zu dritt um ihr kleines Feuer saßen. „Die anderen Kinder haben so etwas nicht. Die müssen ihre Ferien ganz normal verbringen.“
    Dann kuschelte sie sich glücklich an ihre Mutter und machte diesen speziellen Mund, den sie als Baby schon hatte, wenn sie sehr zufrieden war.
    Niklas sah es pragmatischer: „Und weißt du, Lea, dass die anderen Kinder alle nicht so oft Schule schwänzen dürfen wie wir?“
    Lilly wusste, dass er von einem Ohr zum
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