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Lillys Weg

Lillys Weg

Titel: Lillys Weg
Autoren: Renate E. Daimler
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Abend gab es Strohballensingen in Stein, dem nächsten Ort an der Steilküste. Da wurden Seemannslieder gesungen und in großen Trögen Brotteig bereitgestellt, den die Kinder an Stäben über dem Lagerfeuer brieten.
    Nach einer Woche kam Ella zu Besuch und war hingerissen von den Gartenzwergkolonien und der Aussicht auf die Kieler Förde. Urlaub pur.
    Dieses Leben fand jeden zweiten Tag statt.
    An den Tagen dazwischen vertauschte Lilly ihre Shorts und ihr T-Shirt gegen seriöse Stadtkleidung und fuhr mit oder ohne Kinder in die Justizvollzugsanstalt. Niklas hatte sich inzwischen ohne großen Kommentar damit abgefunden, dass sein Papa immer wieder hinter Gitterstäben verschwand, und kam nicht jedes Mal, aber doch immer wieder mit. Lea fühlte sich am Anfang noch verpflichtet, ihre Mutter zu begleiten, aber nach vierzehn Tagen war auch bei ihr die Routine eingekehrt, und sie blieb an besonders schönen Tagen zu Hause.
    Oskar genoss den engen Kontakt zu seiner Familie und lebte auf. Er wurde bei jedem Besuch entspannter und hielt die täglich neue Trennung sichtlich immer besser aus. Hilde blieb weiter Lillys Stütze. Sie kam oft zum Campingplatz, lieh ihr das Auto, wenn sie es nicht brauchte, und versuchte manchmal, die Kinder zu erziehen, was nur mäßig gut glückte. Lea und Niklas waren so unbeschwert wie schon lange nicht mehr und hielten sich gerade noch an die Regeln ihrer Mutter: „Ihr dürft alles tun, was nicht gefährlich ist oder mir furchtbar auf die Nerven geht.“
    Dann kam der Tag, an dem das Familienleben auf Raten wieder zu Ende war. Lilly verschenkte ein paar Lebensmittel, die sie auf der Reise nicht mehr brauchte, und packte die Sachen ein. Sie versprach ihren neuen Campingplatzfreunden, im nächsten Jahr wiederzukommen, buchte ihren Platz in der ersten Reihe und fuhr mit den Kindern und Bärli vor die Justizvollzugsanstalt. Der Stein im Magen war wieder da. Abschied. Niklas hatte sich vorsorglich schon im Hochbett versteckt und Lilly machte gar keinen Versuch, ihm einzureden, dass er mitkommen sollte. Es war besser für ihn und seinen Vater. Lea setzte wie immer ihr tapferes Gesicht auf. Es war eine Mischung aus ernster Miene und bemühtem Lächeln, und als sie ein letztes Mal in dem Warteraum saßen, diesmal allein, weil sie außerhalb der vorgegebenen Besuchszeit kommen durften, sagte sie: „Mama, bist du ­sicher, dass der Papa hier wieder herausdarf?“
    Lilly schluckte und sagte mit sicherer Stimme, obwohl ihr Inneres vor Unsicherheit bebte: „Natürlich, Lea.“
    Oskar sah gut aus. Er trug eine schwarze, elegante Hose und ein weißes Hemd und hatte sich die Haare frisch gewaschen. In seiner Stofftasche, die so wie früher seine Aktentasche zu ihm gehörte, brachte er Kuchen, den er selber gebacken hatte, und kleine Geschenke mit. Lea steckte den Schlüsselanhänger mit dem Delfin, den Lilly in den letzten Tagen besorgt hatte, vorsichtig ein. Er war ein Kleinod. Etwas, was sie jetzt von ihrem Papa mit nach Hause nehmen konnte.
    Niemand berührte das Thema Abschied. Oskar, weil er es sich nicht vorstellen wollte, und Lilly, weil sie darunter litt, dass sie in ein Leben zurückging, in dem es einen freien Himmel und offene Türen gab, während ihr Mann hierbleiben musste.
    Aus diesem ersten Besuch wurden mit den Jahren viele. Es gab ein Leben in Wien und ein Leben in Kiel, in dem die Zeit sich verdichtete und zwei Monate Begegnung für ein ganzes Jahr reichen musste. Zumindest für die Kinder. Lilly nahm sie zu Kurzbesuchen nach wie vor nicht mit. Es war zu teuer und vor allem für Oskar emotional zu belastend.
    Auf dem Campingplatz wusste offiziell niemand Bescheid über Lillys Doppelleben. Jedenfalls sprachen sie mit ihr nicht darüber. Sie war durch ihre häufigen Besuche fast schon ein Mitglied der Dauercampergemeinde geworden und wurde jedes Jahr aufs Neue mit großem Hallo empfangen. Niemand fragte sie nach einem Mann. Es gab so viele alleinerziehende Mütter, man rührte nicht in Wunden, von denen man nicht wusste, ob sie schon verheilt waren.
    Bis zu dem Tag, als ein Fernsehsender Wind davon bekommen hatte, dass die „Frau des Angeklagten“ sich hier versteckte. Sie fuhren mit ihrem großen Sendewagen bis zu der Schranke, die Herr Klint, der Besitzer der Anlage, nicht bereit war zu öffnen, ohne Lilly zu fragen.
    Er kam mit seinen ruhigen, langsamen Bewegungen auf
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