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Lilly Höschen (01): Walpurgismord

Lilly Höschen (01): Walpurgismord

Titel: Lilly Höschen (01): Walpurgismord
Autoren: Helmut Exner
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sich dort etliche Feriengäste herum. Wahrscheinlich wollte er wirklich nur einen Ort meiden, an dem man sie kannte. Sicherheitshalber hatte Lilly zu Hause einen Zettel auf den Tisch gelegt, auf dem stand: Treffe mich am 8. Juli, 16.00 Uhr mit Hans Gutbrodt am unteren Spiegeltaler Teich. Wenn tatsächlich etwas passieren sollte, würde man ihm also auf die Spur kommen. Als sie ihren Wagen auf dem Waldparkplatz abstellte, sah sie Gutbrodt schon dort stehen. Sie stieg aus und begrüßte ihn mit den Worten:
    »Na, da bin ich aber mal gespannt, was Sie mir Geheimnisvolles zu erzählen haben.«
    »Hallo, Fräulein Höschen. Lassen Sie uns ein Stück gehen. Dahinten im Wald können wir uns auf die Bank setzen. Da sind wir ungestört. Mir liegt schon so lange etwas auf dem Herzen, was ich Ihnen sagen muss.«
    »Aber wir haben uns doch erst vor einer Woche zum ersten Mal gesehen. Wenn Sie beichten wollen, sollten Sie einen Pfarrer aufsuchen. Und wenn Sie etwas auf dem Kerbholz haben, gehen Sie am besten zur Polizei. Sollten Sie mich umbringen wollen, so muss ich Ihnen gleich sagen, dass Sie keine Freude daran haben würden. Ich bin ja nicht blöd. Natürlich habe ich jemanden informiert, dass ich mich hier mit Ihnen treffe.«
    »Warum sollte ich Sie umbringen wollen? Zugegeben, im Gerichtssaal hätte ich Sie am liebsten erwürgt. Aber darum geht es nicht. Letztendlich konnten Sie ja nichts dafür, was meine Frau angestellt hat. Außerdem sind das im Vergleich zu dem, was ich Ihnen sagen muss, Kinkerlitzchen.«
    »Wie geht es Ihrer Frau?«
    »Woher soll ich das wissen? Sie ist seit dem Tag der Verhandlung spurlos verschwunden. Aber darum geht es auch nicht.«
    »Vielleicht hören Sie mal auf, mir zu erzählen, worum es nicht geht und lassen die Katze endlich aus dem Sack.«
    »Es geht um Ihren Großneffen Amadeus.«

Lautenthal, 12. Juli 2010
     
    Lilly hatte nicht immer in Lautenthal gelebt. Ihre ersten zehn Lebensjahre hatte sie in der Hannoverschen Gegend verbracht. Ihr Vater war im Zweiten Weltkrieg verschollen, und ihre Mutter zog mit ihr und ihrer Schwester, die zwei Jahre älter war, nach Lautenthal. Hier wohnte ein Bruder der Mutter, der früh verwitwet war und nie wieder geheiratet hatte. Außerdem war er kinderlos. Seine Unerfahrenheit mit Kindern führte dazu, dass er die beiden Mädchen seiner Schwester wie Erwachsene behandelte. Kurz nach dem Krieg starb Lillys Mutter und die Schwester ging nach Hannover, wo sie bald darauf heiratete. Lilly lebte ein paar Jahre allein mit ihrem Onkel, machte Abitur und studierte dann in Hamburg. Nach einer unglücklichen Liebe zog es sie zu ihrem Onkel zurück. Sie bekam eine Stelle am Gymnasium in Clausthal und kümmerte sich um ihren Onkel bis zu dessen Tod. Dieser war ein wohlhabender Geschäftsmann gewesen, der in den sechziger Jahren alle Anteile an seinen Unternehmungen in Hannover und anderswo verkauft hatte, um seinen Ruhestand in dem von ihm so geliebten Städtchen Lautenthal zu genießen. Natürlich hatte er Lilly alles vererbt, sein großzügig ausgestattetes Haus und sein Geld. Lilly hatte in all den Jahren in Lautenthal nie wieder eine ernsthafte Beziehung zu einem Mann unterhalten, was sicherlich auch daran lag, dass sie im Laufe der Zeit immer dominanter wurde. Jedenfalls musste dies nach außen hin so wirken. Um nichts in der Welt wäre sie jemals Kompromisse eingegangen oder hätte sich gar untergeordnet. Sicherlich fehlte ihr manchmal eine enge Beziehung. Aber über dieses Stadium war sie mittlerweile hinaus. Sie hatte ihren Großneffen und ein paar Freunde, die mit ihr Pferde gestohlen hätten. Mehr brauchte sie nicht. Trotzdem achtete sie penibel auf ihr Äußeres. Sie ging einmal pro Woche zum Friseur und geizte nicht mit neuen Kleidern. Mit ihrer kleinen, schlanken Figur, ihrem gepflegten blondierten Haar und ihrer guten Körperhaltung konnte sie durchaus beeindrucken. Wenn Lilly einen Raum betrat, schauten alle auf. Sie war immer der Mittelpunkt, ob sie wollte oder nicht. Manch einer wartete schon darauf, dass sie die eine oder andere bissige Bemerkung anbringen würde.
    Die Sonne, die durch Lillys Schlafzimmerfenster lugte, hatte sie schon früh aufgeweckt. Sie zog sich ihren Bademantel über und trat auf den Balkon. Von hier aus hatte sie einen herrlichen Blick über den Talkessel und die baumbestandenen Berge dahinter. Es war erst sechs Uhr, und das kleine Bergstädtchen Lautenthal war noch ziemlich verschlafen. Die roten Dächer unter ihr, die noch
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