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Lilientraeume

Lilientraeume

Titel: Lilientraeume
Autoren: Nora Roberts
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um.
    Seine Mutter verfügte wirklich über einen untrüglichen Blick und ein sicheres Gespür. Sie hatte das Blau der Wände und die schokoladenbraune Decke durchgesetzt. Er selbst war nicht gerade begeistert gewesen – bis er den Effekt dieser Kombination erkannte. Das Nick-und-Nora-Zimmer war rundherum glamourös, besser ließ es sich nicht beschreiben. Vor allem in Verbindung mit dem angrenzenden Badezimmer, wo dieselben Farben vorherrschten. Blaue Glasfliesen, kombiniert mit gedämpftem Braun, dazu das helle Licht eines Kristalllüsters. Es sah einfach überwältigend aus.
    Vielleicht war ihm dieser verschwenderisch im Stil des Art déco ausgestattete Raum von allen sogar der liebste, dachte er. Weil er so ungewöhnlich war, so extravagant und individuell. Kein bisschen hotelmäßig. Doch das galt eigentlich für alle Räume. Etwas anderes hätte seine Mutter nie geduldet.
    Das Summen des Handys riss Owen aus seinen Gedanken und erinnerte ihn daran, dass er noch ein paar Gespräche führen musste. Er ging nach unten, schaute kurz am Hintereingang vorbei, wo gerade das Geländer der Außentreppe angebracht wurde, kam zitternd wieder nach drinnen und ging vor in die Lobby, wo das Radio plärrte und die Nagelpistolen trommelnd den Takt schlugen.
    Unmöglich, hier in Ruhe zu telefonieren.
    Eilig schnappte er sich Jacke und Aktenkoffer und rief Beckett, der in der Lounge mit dem Anbringen von Fußleisten beschäftigt war, zu: »Bin drüben im Vesta, falls mich jemand sucht.«
    »Es ist erst kurz vor zehn. Die haben noch gar nicht auf.«
    »Genau deshalb geh ich ja hin.«
    Kurz darauf stand er frierend an der Ampel und verfluchte den Verkehr, der einen schnellen Sprint über die Straße unmöglich machte. Also sah er weiter zu, wie aus seinem Mund Wölkchen gefrierenden Atems quollen. Sobald endlich Grün aufleuchtete, spurtete er schnellstmöglich zur Pizzeria hinüber und klopfte ungeduldig gegen die Fensterscheibe. Niemand reagierte, obwohl drinnen Licht brannte.
    Seufzend holte er sein Handy hervor und wählte Averys Nummer.
    »Verdammt, Owen, jetzt klebt Pizzateig an meinem Handy.«
    »Hauptsache, du bist da. Wenn du nicht gleich aufmachst, friere ich hier draußen fest.«
    Mit einem abermaligen »Verdammt« wurde das Gespräch beendet, aber Sekunden später tauchte sie auf – in einer weißen Schürze über den Jeans und einem schwarzen Pulli, dessen Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt waren.
    Alles wie immer, bis auf die Haare. Diese Farbe kannte er noch nicht, doch sie erinnerte ihn irgendwie an das Kupferdach des Hotels. Von Natur aus war Avery rot haarig wie die sagenumwobenen Kriegerprinzessinnen der Schotten, von denen sie abstammte, aber seit ein paar Monaten probierte sie fast jede Woche eine neue Farbe aus. Und als sei das allein nicht schlimm genug, hatte sie sich einen radikalen Kurzhaarschnitt verpassen lassen, der gar nicht zu ihr passte. Fand Owen zumindest.
    Ihre leuchtend blauen Augen funkelten ihn zornig an. »Was willst du?«, fragte sie barsch. »Ich bin mitten in den Vorbereitungen.«
    »Ich brauch ein bisschen Ruhe. Du wirst gar nicht merken, dass ich da bin«, sagte er und schob sich vorsichtshalber an ihr vorbei, bevor sie protestieren konnte. »Ich muss dringend ein paar Telefongespräche führen, was bei dem Lärm da drüben einfach nicht geht.«
    Sie beäugte argwöhnisch die Tasche unter seinem Arm.
    »Okay, ich muss außerdem ein bisschen Papierkram erledigen«, räumte er ein und setzte dabei sein gewinnendstes Lächeln auf. »Ich werde bestimmt ganz leise sein.«
    Avery gab nach. »Meinetwegen. Aber stör mich bloß nicht.«
    »Hm, bevor du wieder nach hinten gehst – du hast nicht zufällig einen Kaffee für mich?«
    »Nein, zufällig nicht. Ich knete gerade Teig, der jetzt an meinem neuen iPhone klebt. Ich hatte gestern Spätschicht, und um acht heute Morgen hat Franny angerufen und sich krankgemeldet. Zwei andere Mitarbeiter liegen ebenfalls mit Fieber im Bett, und Dave kann nicht einspringen, weil bei ihm eine Wurzelbehandlung ansteht. Und zu allem Überfluss fällt mittags eine Reisegruppe ein. Verstehst du, dass ich auch ohne dich ein kleines Problem habe?«
    Ihre Vorhaltungen waren berechtigt, und so nickte er bloß knapp. »Okay.«
    Sie deutete auf den langen Tresen. »Mach dir selbst einen Kaffee – oder auch nicht«, sagte sie und eilte zurück zu ihrem Teig.
    Er hätte ihr ja angeboten zu helfen, aber für ein solches Angebot schien sie nicht in der Stimmung.
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