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Lieder von Sternen und Schatten

Lieder von Sternen und Schatten

Titel: Lieder von Sternen und Schatten
Autoren: George R. R. Martin
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es berührt.
    Das war es natürlich, warum die Traumspinnen es spannen. Sie waren nächtliche Raubwesen, und die hellen Farben ihrer Netze, die nachts lodern, stellen einen wirksamen Köder dar.
    »Schau«, sagte Crystal, »die Spinne.« Sie deutete hinüber. In einer der dunkleren Ecken des Netzes, durch das Gewirr eines Koboldbaumes, der aus dem Gestein wuchs, halb verborgen, saß sie. Ich konnte sie undeutlich durch das Netzfeuer und Mooslicht erkennen, ein mächtiges, achtbeiniges weißes Ding vom Umfang eines großen Kürbis. Regungslos. Wartend.
    Gerry schaute sich wieder unsicher um, blickte hinauf in die Zweige einer verkrümmten Pseudoeiche, die halb über uns herabhingen.
    »Das Weibchen muß irgendwo in der Nähe sein, nicht?«
    Ich nickte. Die Traumspinnen von Jamisons Welt sind nicht direkt Zwillingsgeschöpfe der Arachniden auf der alten Erde. Das Weibchen ist wahrhaftig das tödlichere Wesen, aber weit davon entfernt, das Männchen zu fressen, nimmt es dieses für das ganze Leben in eine dauerhafte besondere Partnerschaft auf. Denn es ist das träge, schwere Männchen, das die Spinndrüsen besitzt, das Netz aus leuchtendem Feuer spinnt und es mit seinem Öl klebrig macht, welches die von Licht und Farben angelockte Beute bindet und fesselt. Inzwischen streift das kleinere Weibchen durch das dunkle Geäst, den Giftsack gefüllt mit dem zähflüssigen Traumgift, das strahlende Visionen und Ekstase und schließlich Schwärze bringt. Sie sticht Wesen vom Vielfachen ihrer Größe und schleppt sie schlaff zurück zum Netz, um sie dem Vorrat einzuverleiben.
    Die Traumspinnen sind nichtsdestoweniger sanfte, barmherzige Jäger. Wenn sie lebende Nahrung bevorzugen, schadet das nichts; das Opfer genießt es vermutlich, verzehrt zu werden. Die Jamie-Volksweisheit behauptet, das Opfer der Spinne stöhnt vor Lust, wenn es verschlungen wird. Wie alle Volksweisheiten übertreibt sie immens. Aber die Wahrheit ist, daß die Opfer sich nie wehren.
    Nur wehrte sich in dieser Nacht etwas im Netz unter uns.
    »Was ist das?« sagte ich blinzelnd. Das schillernde Netz war bei weitem nicht leer-der halbverzehrte Kadaver eines Eisenhorns lag nicht weit unter uns, und eine große, schwarze Fledermaus war knapp dahinter mit grellbunten Fasern gefesselt – aber sie waren es nicht, die ich beobachtete. In der der männlichen Spinne gegenüberliegenden Ecke bei den Bäumen auf der Westseite war etwas gefangen und flatterte. Ich erinnere mich, kurz das Zucken blasser Glieder gesehen zu haben, große, leuchtende Augen und etwas Schwingenähnliches. Aber deutlich sah ich es nicht.
    Das war der Augenblick, in dem Gerry ausrutschte.
    Vielleicht war es der Wein, der ihn unsicher machte, oder das Moos unter unseren Füßen oder die Wölbung des Baumstammes, auf dem wir standen. Vielleicht wollte er nur um mich herumgehen und sehen, was ich anstarrte. Jedenfalls rutschte er aus und verlor das Gleichgewicht, schrie auf und lag plötzlich fünf Meter unter uns gefangen im Netz. Das ganze Gefüge bebte unter der Wucht seines Aufpralls, aber es geriet nicht in geriet nicht in Gefahr, zu zerreißen – Traumspinnennetze sind schließlich stabil genug, um Eisenhörner und Waldfaucher zu fangen.
    »Verdammt!« schrie Gerry. Er sah albern aus; ein Bein war durch die Fasern des Netzes hinabgestoßen, die Arme waren halb versunken und hoffnungslos verfangen, nur Kopf und Schultern waren wirklich frei von dem klebrigen Zeug. »Das klebt so. Ich kann mich kaum bewegen.«
    »Nicht rühren«, sagte ich. »Es wird nur noch schlimmer. Ich überlege, wie ich hinuntersteigen und Sie losschneiden kann. Ich habe mein Messer.«
    Ich schaute mich um und suchte nach einem Ast, auf dem man hinauskriechen konnte.
    »John.« Crystals Stimme klang gepreßt, angespannt.
    Die männliche Spinne hatte ihr Versteck hinter dem Koboldbaum verlassen und bewegte sich in schwerfälligem Gang auf Gerry zu; ein plumpes, weißes Etwas, das Klage um die übernatürliche Schönheit seines Netzes erhob.
    »Verdammt«, sagte ich. Ich war nicht ernsthaft beunruhigt, aber es war ärgerlich. Das große Männchen war die größte Spinne, die ich je gesehen hatte, und es schien eine Schande zu sein, sie zu töten. Aber ich hatte kaum eine andere Wahl. Die männliche Traumspinne besitzt kein Gift, aber sie ist eine Fleischfresserin, und der Biß kann durchaus tödlich sein, zumal dann, wenn sie von einer solchen Größe ist. Ich durfte das Männchen nicht auf Beißweite an Gerry
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