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Lieder von Sternen und Schatten

Lieder von Sternen und Schatten

Titel: Lieder von Sternen und Schatten
Autoren: George R. R. Martin
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aufgesetzt hatten.
    Ich lehnte meinen Bogen vorsichtig an die dunkle Flanke des Ebenfeuers, bückte mich und hielt Crystal eine Handvoll Licht hin. Als ich es unter ihr Kinn hob, lächelte sie mich wieder an. Ihre Züge waren vom kühlen Zauber in meiner Hand weicher gezeichnet. Ich erinnere mich, daß ich mich sehr gut fühlte, sie zu dieser Schönheit geführt zu haben.
    Aber Gerry grinste mich nur an.
    »Ist es das, was wir gefährden werden, Bowen?« fragte er. »Ein Wald voll Blaumoos?«
    Ich ließ das Moos fallen.
    »Sie finden es nicht hübsch?«
    Gerry zuckte die Achseln.
    »Sicher ist es hübsch. Es ist aber auch ein Schwamm, ein Parasit mit der gefährlichen Neigung, alle anderen Arten von Pflanzen zu überrennen und zu verdrängen. Auf Jolostar und dem Barbis-Archipel wuchs Blaumoos einmal sehr dicht, wissen Sie. Wir haben alles ausgerissen; es kann in einem Monat eine gute Getreideernte verschlingen.« Er schüttelte den Kopf.
    Und Crystal nickte.
    »Er hat recht, weißt du«, sagte sie.
    Ich sah sie lange an und fühlte mich plötzlich sehr nüchtern. Schlagartig dämmerte mir, daß ich mir ganz unüberlegt eine neue Phantasiewelt aufgebaut hatte. Hier draußen, in einer Welt, die ich zu der meinen zu machen begonnen hatte, einer Welt von Traumspinnen und Zaubermoos, hatte ich geglaubt, auf irgendeine Weise meinen längst zerronnenen eigenen Traum wieder einfangen zu können, meine lächelnde, kristallene Seelengenossin. In der zeitlosen Wildnis des Festlandes sollte Crys uns beide in einem neuen Licht sehen und wieder begreifen, daß ich es war, den sie liebte.
    So hatte ich ein schönes Netz gewoben, glitzernd und verlockend wie die Falle irgendeiner Traumspinne, und Crys hatte die hauchdünnen Fäden mit einem Wort zerrissen. Sie gehörte ihm; nicht mehr mir, nicht jetzt, nie mehr. Und wenn Gerry mir dumm oder gefühllos oder allzu praktisch eingestellt erschien, nun, vielleicht waren es eben diese Eigenschaften, die Crys veranlaßt hatten, ihn zu erwählen. Vielleicht aber auch nicht – ich hatte kein Recht, nachträgliche Bedingungen für ihre Liebe zu stellen, und es mochte durchaus sein, daß ich sie nie begreifen würde.
    Ich streifte die letzten Flocken von leuchtendem Moos ab, während Gerry nach der großen Lampe Crystals griff und sie wieder anknipste. Mein blaues Wunderland löste sich auf, weggesengt von der grellen weißen Wirklichkeit seines Lichtstrahls.
    »Was nun?« fragte er lächelnd. Er war doch nicht so betrunken.
    Ich griff nach meinem Bogen.
    »Kommt mit«, sagte ich schnell und knapp. Die beiden wirkten begierig und interessiert, aber meine Stimmung war völlig umgeschlagen. Der ganze Ausflug schien plötzlich sinnlos zu sein. Ich wünschte mir, daß sie fort sein mochten, daß ich mit Squirrel wieder in meinem Turm war. Ich war niedergedrückt...
    ... und sank noch tiefer. Im moosüberwachten Inneren des Waldes stießen wir auf einen dunklen, schnellen Wasserlauf, und das grelle Licht der Lampe erfaßte ein einzelnes Eisenhorn, das zum Trinken gekommen war. Es hob blitzschnell den Kopf, bleich und erschrocken, dann hetzte es zwischen den Bäumen davon; einen flüchtigen Augenblick lang glich es ein wenig dem Einhorn der Legende auf der Erde. Alte Gewohnheit ließ mich einen Blick auf Crystal werfen, aber ihre Augen suchten die Gerrys, als sie lachte.
    Später, als wir einen felsigen Hang erstiegen, klaffte in der Nähe die Öffnung einer Höhle; dem Geruch nach war es das Lager eines Waldfauchers.
    Ich drehte mich nach hinten, um sie zu warnen, entdeckte aber nur, daß ich meine Zuhörerschaft verloren hatte. Sie waren zehn Schritte hinter mir, unten an dem Felsen, gingen ganz langsam, hielten sich an den Händen und sprachen leise miteinander.
    Dumpf und zornig, wortlos, wandte ich mich wieder ab und stieg weiter über den Hügel. Wir sprachen nicht mehr miteinander, bis ich den Staubhaufen gefunden hatte.
    Ich blieb davor stehen, mit den Stiefeln drei Zentimeter tief im dünnen, grauen Staub, und sie kamen hinter mir heraufgekeucht.
    »Los, Gerry«, sagte ich. »Benützen Sie hier Ihre Lampe.«
    Das Licht streifte umher. Der Hügel war hinter uns, felsig und hier und dort von dem verschwommenen kalten Feuer der im Blaumoos erstickenden Vegetationbeleuchtet. Aber vor uns war, nur Öde, eine weite, leere Ebene, schwarz und verwüstet und leblos, den Sternen geöffnet. Gerry bewegte die Lampe hin und her, schob die Grenzen des Staubes in der Nähe zurück, bis der Lichtstrahl
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