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Lieder von Sternen und Schatten

Lieder von Sternen und Schatten

Titel: Lieder von Sternen und Schatten
Autoren: George R. R. Martin
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Sekunden später begann die alkoholische Wärme zu vergehen. Gerry winkte jedoch ab, als ich ihm die Tablette hinhielt.
    »Soviel habe ich nicht getrunken«, sagte er. »Ich brauche das nicht.«
    Ich zuckte die Achseln und dachte mir, daß sich das immer besser anließ. Wenn Gerry in betrunkenem Zustand durch den Wald stolperte, mußte das Crystal gegen ihn einnehmen.
    »Wie du willst«, meinte ich.
    Sie waren beide eigentlich nicht für die Wildnis angezogen, aber ich hoffte, daß das nicht problematisch werden würde, weil ich nicht wirklich vorhatte, sie sehr tief in den Wald hineinzuführen. Es wird ein kurzer Ausflug sein, dachte ich: meiner Fährte ein Stück folgen, ihnen den Staubhaufen und die Spinnenkluft zeigen, vielleicht eine Traumspinne für sie erlegen. Nichts dabei, kurz hinein und wieder hinaus.
    Ich zog einen dunklen Overall und schwere Wanderstiefel an, nahm meinen Köcher, gab Crystal eine Lampe für den Fall, daß wir von den Blaumoosgebieten abirrten, und griff nach meinem Bogen.
    »Brauchen Sie den wirklich?« fragte Gerry sarkastisch.
    »Zum Schutz«, erwiderte ich.
    »So gefährlich kann es nicht sein.«
    Nicht, wenn du dich auskennst, dachte ich, aber das sagte ich ihm nicht.
    »Warum bleibt ihr Jamies dann auf euren Inseln?«
    Er lächelte.
    »Ich vertraue einem Laser mehr.«
    »Ich pflege einen Todeswunsch. Ein Bogen gibt der Beute eine gewisse Chance.«
    Crys zeigte mir ein Lächeln gemeinsamer Erinnerung.
    »Er jagt nur Raubtiere«, sagte sie zu Gerry.
    Ich verbeugte mich.
    Squirrel schien damit einverstanden zu sein, meine Burg zu bewachen. Gelassen und meiner Sache sehr sicher, schnallte ich ein Messer um und führte meine Ex-Ehefrau und ihren Liebhaber in die Wälder von Jamisons Welt hinein.
    Wir gingen hintereinander, nah zusammen, ich voraus mit dem Bogen, dann Crys, hinter ihr Gerry. Crys knipste die Lampe an, als wir uns auf den Weg machten, und ließ den Lichtstrahl über den Pfad wandern, als wir uns durch den dichten Hain von Dornpfeilen schlängelten, der vor dem Meer wie eine Mauer aufragte. Hoch und kerzengerade, mit krustig-grauer Rinde, manche so dick wie mein Turm, erkletterten sie eine absurde Höhe, bevor sie ihr mageres Geäst ausbreiteten. Hier und dort drängten sie sich zusammen und quetschten den Pfad zwischen ihnen ein, und im Dunkeln standen wir plötzlich vor mehr als einer scheinbar unüberwindlichen Barriere aus Holz. Aber Crys fand immer wieder den Weg, mit mir einen halben Meter voraus, damit sie das Licht auf die Stelle richten konnte.
    Nach zehn Minuten begann sich das Aussehen des Waldes zu verändern. Boden und Luft waren hier trockener, der Wind kühl, aber ohne Salzgeruch; die wasserhungrigen Dornpfeile hatten der Luft fast die ganze Feuchtigkeit entzogen. Sie wuchsen hier kleiner und weniger dicht, die Zwischenräume waren größer und leichter auszumachen. Andere Pflanzenarten tauchten auf: verkümmerte kleine Koboldbäume, weitgedehnte Pseudoeichen, zierliche Ebenfeuer, deren rote Adern im dunklen Holz hell pulsierten, wenn Crystals wandernder Lichtstrahl sie erfaßte.
    Und Blaumoos.
    Zuerst nur wenig; hier ein knotiges Geflecht, das von einem Koboldast herabbaumelte, dort ein kleiner Fleck am Boden, der sich häufig am Rücken eines Ebenfeuers oder eines verdorrenden, allein stehenden Dornpfeils hinauffraß. Dann mehr und immer mehr; dicke Teppiche unter unseren Füßen, moosige Decken auf dem Laub darüber, schwere Ranken, die von den Ästen herabhingen und im Wind tanzten. Crystal ließ den Lichtstrahl umherwandern, fand immer größere und dichtere Ansammlungen des weichen blauen Schwammes, und an den Rändern begann ich das Leuchten wahrzunehmen.
    »Genug«, sagte ich, und Crys schaltete die Lampe aus.
    Die Dunkelheit währte nur einen Moment, bis unsere Augen sich an eine schwächere Beleuchtung gewöhnt hatten. Ringsumher war der Wald von einer schwachen Strahlung durchdrungen, als das Blaumoos uns mit seinem sanften Leuchten umhüllte. Wir standen seitlich auf einer kleinen Lichtung, unter einem schimmernd schwarzen Ebenfeuer, aber selbst die Flammen in seinem rotgeäderten Holz wirkten in dem schwachen blauen Licht kühl. Das Moos hatte den ganzen Unterwuchs übernommen, alle Gräser verdrängt und das nahe Gebüsch in verschwommene blaue Strandbälle verwandelt. Es kletterte an den Stämmen der meisten Bäume hoch, und als wir durch die Äste zu den Sternen hinaufsahen, bemerkten wir, daß andere Kolonien dem Wald eine leuchtende Krone
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