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Lieder von Sternen und Schatten

Lieder von Sternen und Schatten

Titel: Lieder von Sternen und Schatten
Autoren: George R. R. Martin
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Ängste, es könnten ihn Gassenfaucher fressen oder Hunde jagen oder Kinder aufhängen, eingeengt gewesen. Hier draußen ließ ich ihn frei laufen, was ihm weit mehr behagte. Das Gebüsch um den Turm war von Peitschenmäusen überlaufen, einheimischen Nagetieren mit unbehaartem Schwanz von der dreifachen Länge des Körpers. Der Schwanz stach ein bißchen, aber das störte Squirrel nicht, obwohl er jedesmal, wenn er getroffen wurde, eine Schwellung bekam und mit Verdrossenheit reagierte. Es machte ihm Spaß, den ganzen Tag Peitschenmäuse zu jagen. Squirrel hatte sich immer schon für einen großen Jäger gehalten, und eine Schüssel Katzenfutter zu erbeuten, erfordert keine Geschicklichkeit.
    Er war noch länger mit mir zusammen, als Crystal es gewesen war, aber während unserer gemeinsamen Zeit hatte sie ihn entsprechend liebgewonnen. Ich argwöhnte oft, daß Crystal noch früher zu Gerry gegangen wäre, hätte sie der Gedanke nicht bedrückt, Squirrel verlassen zu müssen. Nicht, daß er eine große Schönheit gewesen wäre. Er war ein kleiner, magerer, zerzaust aussehender Kater mit Ohren wie ein Fuchs, einem Fell von schmutzig-graubrauner Farbe und einem langen, buschigen Schwanz, der ihm zwei Nummern zu groß war. Der Freund, der ihn mir damals auf Avalon schenkte, hatte mir ernsthaft mitgeteilt, Squirrel sei der illegitime Abkömmling einer genetisch manipulierten PSI-Katze und eines räudigen, streunenden Katers. Aber wenn Squirrel die Gedanken seines Besitzers lesen konnte, schenkte er ihnen nicht viel Aufmerksamkeit. Wenn er Zuneigung wollte, tat er Dinge, wie schnurstracks an dem Buch emporzuklettern, das ich gerade las, es wegzustoßen und mich ins Kinn zu beißen; wenn er seine Ruhe haben wollte, war es gefährlicher Leichtsinn, ihn streicheln zu wollen.
    Als Crystal vor ihm kniete und ihn streichelte und Squirrel ihre Hand beschnupperte, schien sie wieder ganz die Frau zu sein, mit der ich auf Reisen gewesen, die ich geliebt, mit der ich endlos gesprochen und jede Nacht geschlafen hatte, und plötzlich wurde mir klar, wie sehr sie mir gefehlt hatte. Ich glaube, ich lächelte; ihr Anblick, selbst unter diesen Umständen, schenkte mir immer noch eine von Wolken verdunkelte Freude. Vielleicht ist es albern und dumm und rachsüchtig von mir, die beiden fortschicken zu wollen, dachte ich, nachdem sie von so weit gekommen sind, um mich zu sehen. Crys war Crys geblieben, und Gerry konnte kaum so schlimm sein, wenn sie ihn liebte.
    Als ich sie stumm beobachtete, traf ich plötzlich eine Entscheidung; ich würde ihnen erlauben, hier zu bleiben. Und wir konnten sehen, was sich ergab.
    »Es wird bald dunkel«, hörte ich mich sagen. »Habt ihr Hunger?«
    Crys hob den Kopf, während sie Squirrel weiterstreichelte, und lächelte. Gerry nickte.
    »Na gut«, sagte ich, ging an ihnen vorbei, blieb unter der Tür stehen, drehte mich um und winkte sie herein. »Willkommen in meiner Ruine.«
    Ich drehte die elektrischen Lampen an und kümmerte mich um das Abendessen. Damals waren meine Schränke noch gut gefüllt; ich hatte noch nicht begonnen, vom Wald zu leben. Ich taute drei große Sandraci auf, silberschalige Krustentiere, nach denen die Jamie-Fischer unerbittlich schleppfischten, und servierte sie mit Brot, Käse und Weißwein.
    Das Tischgespräch war höflich und behutsam. Wir sprachen über gemeinsame Freunde in Port Jamison, Crystal erzählte mir von einem Brief gemeinsamer Bekannter auf Baldur, den sie bekommen hatte, Gerry ließ sich über Politik und die Bemühungen der Port-Polizei aus, den Handel mit Traumgift zu unterbinden.
    »Der Rat fördert die Entwicklung eines Super-Insektizids, das die Traumspinnen ausrotten würde«, berichtete er mir. »Eine Sättigungsberieselung der nahen Küste würde das meiste an Nachschub unterbinden, denke ich.«
    »Gewiß«, sagte ich, vom Wein ein wenig beschwipst, ein bißchen pikiert über Gerrys Dummheit. Wieder einmal hatte ich mich, während ich ihm zuhörte, dabei ertappt, daß ich an Crystals Geschmack zu zweifeln begann. »Ganz egal, welche anderen Auswirkungen das auf das Ökosystem haben könnte, nicht?«
    Gerry zuckte mit den Achseln.
    »Festland«, sagte er nur. Er war durch und durch Jamie, und die Bemerkung war zu übersetzen mit ›Wen stört's?‹. Die Zufälle der Geschichte hatten bei den Bewohnern von Jamisons Welt eine einzigartig gleichgültige Haltung gegenüber dem einen großen Kontinent ihres Planeten erzeugt. Die meisten der ursprünglichen Siedler
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